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Am Rande von Nixons Europatrip

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Die nationale Politik der Vereinigten Staaten befindet sich immer noch in einem Vorbereitungszustand. Nur langsam zeigen sich Umrisse der künftigen Ära. Vietnam und damit im Zusammenhang die Pariser Gespräche und die Krise im Nahen Osten stehen in der Außenpolitik naturgemäß im Mittelpunkt. Man hat den Eindruck, daß der Präsident bestimmte Festlegungen noch vermeidet, unter anderem auch deshalb, weil, wie er selbst angedeutet hat, in der Administration noch einige Meinungsverschiedenheiten bestehen.

In der Innenpolitik sollen unter anderem zwei Fragen einer Nachprüfung unterzogen werden: die der allgemeinen Wehrpflicht und die der Verbrechensbekämpfung. Nixon hat einer Kommission den Auftrag erteilt, zu ventilieren, Ob das bis jetzt herrschende Gesetz der allgemeinen Wehrpflicht durch ein neues ersetzt werden könnte, das die Einberufung durch Freiwilligenmeldungen ersetzt. Man trägt hier deutlich der vielseitigen Kritik am „Draftsystem“ Rechnung.

Auf der anderen Seite kommt die Regierung der Ungeduld konservativer Kreise gegenüber der angeblichen Laxheit in der Verbrechensbekämpfung entgegen, wenn man — übrigens ähnlich wie in der Bundesrepublik — den Gedanken einer Art Vorbeugungshaft aufgreift: wegen einer Anklage auf einen Prozeß Wartende auf unbestimmte Zeit in Haft zu behalten, um etwaige neue Delikte zu vermeiden. Beide Vorschläge werden nicht nur im Kongreß auf Zögern stoßen, nicht minder wahrscheinlich die Abschaffung der seit Lincolns Zeiten üblichen Patronage für den Kabinettsrang habenden Postmaster und seine örtlichen Vertreter. In Zukunft sollen Fachexamen an Stelle der gewohnheitsmäßigen politischen Gesichtspunkte maßgeblich sein. Bei den Gewerkschaften dürfte die von Nixon persönlich vorgeschlagene Neuformulierung des das Streikrecht regelnden Taft-Hartley-Gesetzes Unruhe hervorrufen.

Im Rahmen der allgemein gehaltenen Randerklärungen hat der Präsident bei seiner letzten Pressekonferenz ebenso versprochen, ein „Freund“ der schwarzen Amerikaner zu sein wie bei der Beschäftigung mit nahöstlichen und asiatischen Fragen keineswegs Lateinamerika und Europa zu vernachlässigen. Die Reise nach fünf europäischen Hauptstädten unterstreicht das. Obwohl er inzwischen die Unterzeichnung des Atomsperrvertrags für sehr dringlich erklärt hat — seine bisherige Zurückhaltung aufgebend —, liegt ihm offensichtlich daran, sich vor einer etwaigen Gipfelkonferenz mit den Russen über die westeuropäischen Positionen au informieren.

Ein Kommentator in Washington hat wohl mit Recht festgestellt, daß die neue Administration mit ihren mannigfachen Vorschlägen und Überlegungen in „Bewegung“ geraten ist, man aber natürlicherweise noch nicht sehen kann, ob und wo sie neue Fakten schaffen werde. Die Nahost-Krise, die in der öffentlichen Meinung des Landes infolge der letzten Ereignisse — Athen, Beirut, Bagdad — weitgehend emotionelle Untertöne erhalten hat, nicht zuletzt auch im Zusammenhang mit der Zuspitzung einer Konfliktsituation zwischen Farbigen und Juden in New York City, glaubt Nixon am besten im Rahmen der Vereinten Nationen durch die von de Gaulle angeregte Viererkonferenz zu entschärfen.

New York City hat nicht nur den triumphalen Einaug der letzten Astronauten und der siegreichen New Yorker Fußballmannschaft erlebt, sondern hat auch eigene Sorgen. Die sogenannte Dezentralisation der Erziehung, die zu Streiks und Gegenstreiks,. die zu sich ausschließenden Anordnungen geführt hat zwischen lokalen und zentralen Organen (teilweise mit rassistischem Unterton), entweder befolgt oder ignoriert, wird noch geraume Zeit auf der Tagesordnung stehen.

Die Finanzbürde der Stadt, die man bisher vergeblich versucht hat, auf föderale oder staatliche Stellen abzuwälzen, hat eine Bewegung hervorgerufen, die für die Stadt die Unabhängigkeit vom Staat New York, das heißt die Bildung des 51. Staates in der Union, zum Ziel hat. Sollte ein Volksbegehren in dieser Frage erfolgreich in die Wege geleitet werden, dürfte das Einfluß auf die Ende des Jahres fälligen Wahlen des New-York-City-Rürger-meisters und des Gouverneurs im Staate New York haben. Sowohl Gouverneur Rocfcefeller wie New Yorks Bürgermeister Lindsey stehen im Mittelpunkt scharfer Kritik. Schon jetzt beginnen aus beiden großen Parteien sich Kandidaten für diese Ämter zu melden; andere werden genannt, ohne sich selbst zu äußern. In dem Mosaik der politischen Ambitionen spielt in New York neuerdings die gewissermaßen als eine „pressure group“ der Republikaner auftretende Konservative Partei, die mit einer Million Wählern letztlich die eine ähnliche Funktion bei den Demokraten ausübende Liberale Partei überflügelt hat, eine gewisse Rolle. In welcher Richtung, bleibt abzuwarten.

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