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Beschränkung des „Jagdraumes“

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Diese Konzentration hat zur Folge, daß sich die einzelnen Zeitungen auf einen kleinen geistigen, politischen und geographischen Raum beschränken müssen. Ihre Stärke liegt im lokalen Bereich. Die meisten Blätter können in ihrem Ausland- und allgemeinen Inlandteil nichts Spezielles bieten, weil dafür — im Vergleich mit den wenigen großen Zeitungen und im Vergleich mit den Massenmedien — schon die Finanzen fehlen. Sie begnügen sich hier mit Agenturmeldungen und mit Korrespondentenberichten, die sie von einigen Vermittlungsstellen beziehen. In der Mehrzahl konzentrieren sich unsere Zeitungen, ihren personellen und finanziellen Verhältnissen entsprechend, auf ihren engsten Einzugsbereich. Hier gilt es nun, die bescheidensten Regungen zu EegisiferiereM Etwa den Ausflug

des Männerchors, die Wünsche des Gewerbevereins, die Entschlüsse der Parteiversammlung, das Konzert der bodenständigen Handorgler. Man kann diese Situation natürlich romantisch interpretieren. Leider sprechen aber die Erfahrungszahlen gegen eine solche Romantik, die eine seßhafte, am Geschehen im kleinsten Raum interessierte Bevölkerung voraussetzt. Die Statistik belegt die große und immer noch wachsende Wanderbewegung der Schweizer. Der Wohnort wird oft gewechselt, und Zuzügler haben im allgemeinen kein großes Bedürfnis nach lokalem Lesefutter. Die Stimmbeteiligung in den einzelnen Gemeinden geht erschrek-kend zurück Die Auflagen der vielen kleinen und mittleren Zeitungen stagnieren oder sinken sogar, jedenfalls halten sie nicht Schritt mit der tatsächlichen Bevölkerungszunahme.

Der wanderlustige und über das Lokale erhabene Schweizer schöpft sein aktuelles Wissen aus anderen Quellen. Überregionale und politisch betont neutrale Blätter breiten sich aus. Ein Boulevard-Blatt konnte in kurzer Zeit seine Auflage phantastisch steigern. Die Entwicklung ist noch nicht abgeschlossen. In den letzten Tagen wurde die Herausgabe von zwei neuen Abendzeitungen angekündigt, die wahrscheinlich ihr zahlreiches Publikum bald finden werden. Wie der Erfolg bestätigt, entsprechen diese Publikationen einem großen Bedürfnis. Immerhin ist beizufügen, daß — mit Ausnahme des anspruchslosen Boulevardblattes — dank der steigenden Abonnentenzahl und der entsprechend steigenden Einnahmen aus Inseraten oft auch eine erfreuliche Bereicherung in allen Zeitungssparten möglich wird.

Rückgang des Presseföderalismus

Der extreme Presseföderalismus, so scheint es, schlägt in sein Gegenteil um. Unter der Oberfläche einer ehrgeizig und mit erheblichen finan-

ziellen Opfern weitergepflegten Vielfalt der Zeitungen bahnt sich eine lautlose Pressekonzentration an. Die Konzentration bringt zugleich eine wesentliche Veränderung der Ausrichtung, des Niveaus, überhaupt der Haltung der Zeitungen mit sich. Gefährlich ist die Entwicklung vor allem für die mittelgroßen Blätter — mit Auflagen zwischen 10.000 und 15.000 Exemplaren. Im engen System der Kommunikationsmittel ist ihnen ein Ausweichen auf neue Gebiete und Leserschichten kaum möglich. Ihre lokalen und kantonalen Spezialitäten werden, falls sie genügend interessant sind, von den überregionalen Blättern ausgebeutet. Die Inserate und damit die Finanzen verschieben sich weiter auf die auflagenstarken Zeitungen. Dazu kommen die kostspieligen technischen Neuheiten der Bild- und Nachrichtenübermittlung, die für mittelgroße Blätter nicht mehr erschwinglich sind. Die Vielfalt wird geistig und materiell unterhöhlt, gerade weil die exzessive Vielfalt für eine echte Vielfalt keinen Raum läßt.

Diese Tendenzen — Stagnation der alteingesessenen, parteipolitisch gebundenen Presse, zunehmende Verbreitung der neutralen Zeitungen — spielten im eingangs erwähnten Radio- und Fernsehstreit eine nicht unbedeutende Rolle. Den Massen-

medien wurde die enge Allianz mit den Nonkonformisten und mit der nonkonformistischen Presse vorgeworfen. Aber Symptombekämpfung, etwa die Absetzung einzelner Sendungen oder die Ausschaltung von Mitarbeitern, nützt wenig. Der Kern des Problems liegt tiefer. Er liegt in einem extremen Föderalismus, der im Interesse der föderalistischen Struktur — auch der Struktur der Presse — korrigiert werden müßte.

Auf dem Spiel steht mehr als nur die Existenz einiger mehr oder minder interessanter Blätter. Auf dem Spiel steht die Funktionsfähigkeit und die Funktionstüchtigkeit der Demokratie.

Falsche Sündenböcke

Zur Erhaltung und Förderung der Schweizer Presse wäre eine Lockerung im engen Maschenwerk nötig: Zusammenarbeit, Zusammenschluß der kleinsten mit den mittelgroßen Blättern, Arbeitsteilung zwischen den mittelgroßen Zeitungen. Die Therapie läßt sich allerdings schneller formulieren als verwirklichen. Sie wird außerordentlich schwierig sein bei der komplexen parteipolitischen und geographischen Struktur der Presse. Sie muß aber an die Hand genommen werden, wenn die lautlose Konzentration nicht weiter fortschreiten soll.

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