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Der General und die Jahre

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Die Rolle der Offiziere In Lateinamerika ergibt sich aus dem Vakuum, das bei dem Chaos desorganisierter und korrupter Parteien entsteht, und aus dem Sendebewußtsein, mit dem sich nach ihrer Tradition die sonst beschäftigungslosen Militaristen als „ordnende Kraft“ des „Vaterlandes“ fühlen. Dabei wollen die meist alten Anhänger der Militärdiktatur die Macht behalten, während vor allem jüngere Elemente sie einer geordneten zivilen Kraft übertragen wol-sen. Dieser Gegensatz zeigt sich zur Zeit in Brasilien.

Marschall Castelo Branco bezeichnete in seiner jüngsten Kongreßbotschaft die „Redemokratisierung des Landes“ mit normalem Funktionieren der Gesetzgebung und Rechtsprechung, 'bei Presse- und Vereinsfreiheit „als Hauptziel seiner Regierungsführung“. „Die Revolution muß demokratisch sein“, hatte wenige Tage vorher der Justizminister in der Kammer gesagt.

Für den Präsidenten erschöpfte sich der revolutionäre Vorgang in der Ausschaltung von „subversiven und korrupten Elementen“, die den Militärgerichten mit kurzer Fristsetzung übertragen war. Tatsächlich wurden allen Politikern ihre bürgerlichen Ehrenrechte, vor allem das Wahlrecht, auf zehn Jahre entzogen, die bei späteren Wahlen eine Gefahr für die Rechte darstellen könnten. Niemand kann behaupten, daß der Ex-präsident Dr. Kubitschek, ein typischer Kapitalist der Mitte, „subversiv“ ist, niemand kann beweisen, daß er „korrupt“ war. Umgekehrt hat der Gouverneur des Staates Sao Paulo, Dr. Adhemar de Barros, der wegen seiner Korruption berühmt ist, die Revolution mitgemacht und sich als Präsidentschaftskandidat für 1966 angemeldet. Gegen einen Rechtsstaat, wie ihn der Präsident schaffen will, spricht auch, daß etwa 1500 Politiker und Intellektuelle ohne jede Anklage von der Militärjustiz in Haft gehalten werden.

Der Präsident bemüht sich gewiß, die äußeren Formen der demokratischen Willensbildung zu wahren. Soweit Gouverneure oder Politiker entrechtet wurden, sind ihre Stellvertreter nachgerückt. Der Präsident hat einen „revolutionären parlamentarischen Block“ bilden können, weil die Abgeordneten feindlicher Parteien aus Opportunismus „umgefallen“ sind. Die Reformen, die Goulart verweigert wurden, gingen durch. Castelo Branco betreibt jetzt eine Verfassungsreform für ein gaullistisches Präsidentialsystem. Seine Sozialpolitik ist fortschrittlich. Die Analphabeten erhalten das Wahlrecht. Angesichts der alarmierenden Wirtschaftskrise will er die höheren Gehälter auf den Gegenwert von zirka 1400 DM senken und hat den Mindestlohn um 60 Prozent erhöht. (Die Lebenshaltungskosten stiegen im letzten Jahr um über 80 Prozent.)

Castelo Branco ist — wie der Oberstkommandierende der argentinischen Armee, General Ongania — militärisch und wirtschaftlich ein scharfer Parteigänger der USA. (Er soll sogar die Entsendung brasilianischer Truppen nach Südvietnam zugesagt haben.) Dadurch hat er sich den Zorn der Nationalisten zugezogen. Sein wichtigster Gegenspieler aus diesem Lager ist der Gouverneur des Staates Guanabara ( Rio de Janeiro), Carlos Lacerda, der berühmteste Journalist Brasiliens, der wesentlich zum Sturz der drei Präsidenten Vargas, Quadros und Goulart beigetragen hat. Lacerda hat erreicht, daß die konservative Partei UDN ihn als ihren Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen nominiert hat, obwohl er durch sein unberechenbares Wesen auch seinen Freunden oft mißfällt. Inwieweit die Offiziere sich mit ihm abfinden, bleibt abzuwarten. Der Kriegsminister, General Artur da Costa de Silva, hat erklärt: „Mit oder ohne Regierung Castelo Brancos wird das Heer nie zulassen, daß das Land neuerdings ... dem Bankrott seiner tiefen demokratischen Prinzipien anheimfällt ... Die Revolutionsregierung wird noch zehn Jahre brauchen, um das Land zu normalisieren.“ Damit hat der Kriegsminister Brasilien auf zehn Jahre unter militärische Kontrolle gestellt. Sie soll sich bei den Wahlen, die 1965 für zehn Gouverneure und 1966 für den Bundespräsidenten angesetzt sind, darin äußern, daß Kandidaten nur mit einem politischen Unbedenklichkeitszeugnis der Generäle zugelassen werden.

Castelo Branco hat gesagt, daß er die Wahlen „trotz der Verschwörung aus Montivedeo und Paris“ veranstalte. Die Expräsidenten Dr. Kubitschek in der französischen und Goulart in der uruguayischen Hauptstadt enthalten sich aller Angriffe auf das neue Regime, wobei die Hoffnung, sich irgendwie zu regeln und der Vermögensbeschlagnahme zu entgehen eine ebenso große Rolle spielen mag wie die Rücksichtnahme auf das gewährte politische Asyl. Dagegen protestiert die brasilianische Regierung dauernd in Montevideo wegen des Schwagers von Goulart, des Exgouverneurs Leonel Brizola. Er leitet die — vor Jahren begründete — „Nationale Befreiungsfront“ — Castristen in Gauchotracht — und soll hinter dem schnell gescheiterten Versuch stehen, eine Freischärlerfront mit einigen Dutzend Aktivisten in Südbrasilien zu errichten. Aber nicht einmal die Emigranten in Montevideo glauben an die Möglichkeit der Linken, das Regime stürzen zu können. Die Rechte bleibt in Brasilien vorläufig an der Macht, und die einzige Frage ist, ob in Uniform oder in Zivil regiert wird.

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