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"Wer in Schweden eine Synagoge oder eine jüdische Schule besucht, muss sich Sicherheitschecks wie auf einem Flughafen unterziehen.

Auf propalästinensischen Demos in Malmö wird eine neue Intifada gefordert, Sätze wie 'Wir werden die Juden erschießen' werden gerufen, schließlich werden Juden 'Affen und Schweine' genannt.

Als im polnischen staatlichen Fernsehen ein katholischer Priester erklärt, es sei schwer, Juden zu mögen, wird er von einer Sprecherin der rechtskonservativen Regierung wohlwollend zitiert."

Am 9. Dezember 2017 wurde eine Chanukka-Feier in der schwedischen Stadt Göteborg von Molotow-Cocktails rüde unterbrochen. Maskierte junge Männer warfen die brennenden Flaschen auf die ebenfalls jungen Juden, die sich für das Lichterfest versammelt hatten. Zwei Tage später fand man zwei Feuerbomben vor einer jüdischen Begräbniskapelle im südschwedischen Malmö.

Die knapp 18.000 Seelen umfassende jüdische Gemeinde Schwedens ist an Attacken gewöhnt. Sie nehmen zu, wenn sich Ereignisse im Nahen Osten zuspitzen. Als US-Präsident Donald Trump am 6. Dezember mit seiner Erklärung, die Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem zu verlegen, Empörung bei Palästinensern und anderen arabischen Völkern provozierte, marschierten auch in Malmö 200 Demonstranten und riefen nach einer neuen Intifada. Augen-und Ohrenzeugen berichteten von Slogans wie "Wir werden die Juden erschießen". Tags darauf bei Protesten in Stockholm sprach ein Redner von Juden als "Affen und Schweinen".

Beschimpfungen und Attacken

Wer in Schweden eine Synagoge besucht, muss sich Sicherheitschecks wie auf einem Flughafen unterziehen. Mit Maschinenpistolen bewaffnete Polizisten wachen vor jüdischen Schulen. Jüdische Lehrer müssen sich von Schülern beschimpfen und bedrohen lassen. Selbst jüdische Begräbnisse sind immer wieder Ziel von Attacken.

Der offen zu Schau gestellte Antisemitismus in Schweden ist so akut geworden, dass auch der sehr vorsichtige Premier Stefan Löfven zugeben musste: "Wir können nicht verleugnen, dass viele Menschen aus dem Nahen Osten, wo Antisemitismus weit verbreitet ist, hierher kommen. Das müssen wir stärker thematisieren." Er sieht also einen Zusammenhang zwischen der starken muslimischen Zuwanderung seit 2015 und den Angriffen auf Juden in seinem Land.

In Polen berichtet Agnieszka Ziatek von der Jüdischen Israel-Agentur über vermehrte Nachfragen nach den Bedingungen für die Einwanderung nach Israel. Viele ältere Juden fühlen sich an das Jahr 1968 erinnert, als der kommunistische Premier Gomulka mit antisemitischer Rhetorik Politik machte und 20.000 Juden zwang, auf Eigentum und Staatsbürgerschaft zu verzichten, um aus dem Land fliehen zu können.

Ein diplomatischer Disput mit Israel hat in Polen eine Welle antisemitischer Gewalt ausgelöst, die die weniger als 10.000 Seelen große jüdische Gemeinde im 38-Millionen-Einwohner-Staat schockiert und verunsichert hat. Ursache ist das vergangene Woche in Kraft getretene Holocaust-Gesetz, das alle mit bis zu drei Jahren Haft bedroht, die Polen für den Holocaust mitverantwortlich machen oder von "polnischen Konzentrationslagern" sprechen.

Heftige Debatte in Polen

Schon das Buch "Nachbarn" von Tomasz Gross hatte im Jahre 2000 eine heftige Debatte in Polen ausgelöst. Der Autor beschreibt da die Verbrechen polnischer Einwohner das Städtchens Jedwabne an ihren jüdischen Nachbarn am 11. Juli 1941. Im Zuge dieser Debatte wurde das Institut des Nationalen Gedenkens (IPN) gegründet, das die dunklen Seiten der polnischen Geschichte dokumentiert.

Darauf angesprochen, dass ja auch Polen den Nazis bei der Judenvernichtung eifrig zur Hand gegangen seien, spielte Premier Mateusz Morawiecki einem israelischen Journalisten gegenüber die Verantwortung seiner Landsleute herunter: "Natürlich wird es nicht strafbar sein, nicht als kriminell angesehen werden, wenn man sagt, dass es polnische Täter gab, so wie es jüdische Täter gab, so wie es russische Täter gab, so wie es Ukrainer gab, nicht nur deutsche Täter." Ein Präsidentenberater legte nach, als er mutmaßte, Israels negative Reaktion auf das umstrittene Gesetz resultiere aus der "Scham über die passive Rolle der Juden während des Holocaust".

Die erzkatholische PiS-Regierung lässt es zu, dass im staatlichen Fernsehen Rechtsextreme zu Talk-Shows eingeladen werden, die dann mit dem Gastgeber Witze über Juden und Gaskammern machen. Ein katholischer Priester, der im Staats-TV erklärte, es sei schwer, Juden zu mögen, wurde dann von der Regierungssprecherin wohlwollend zitiert.

Von den 3,3 Millionen Juden, die vor dem deutschen Einmarsch in Polen lebten, hat nur ein Zehntel überlebt. Die meisten der Überlebenden sind dann ausgewandert, vor allem nach Israel. Jene, die geblieben sind, haben ihren Kindern das Trauma von Verfolgung und Vernichtung weitergegeben.

Antisemitische Gesetze?

Ein Dreivierteljahrhundert nach dem Holocaust ist der Antisemitismus in Europa wieder (oder noch) allgegenwärtig. "Lasst uns den Antisemitismus bekämpfen. Aber in unserer Lebenszeit werden wir ihn nicht besiegen", sagte der französische Star-Philosoph Bernard-Henri Lévy in seiner Eröffnungsansprache zur Antisemitismuskonferenz, die Ende Februar in Wien über 150 Experten und reichlich Publikum versammelte. Die von den Universitäten Wien, Tel Aviv und New York sowie dem Europäischen Jüdischen Kongress (EJC) organisierte internationale Konferenz stand unter dem Titel "An End to Antisemitism" und befasste sich in unzähligen Referaten nicht nur mit den verschiedensten Formen von Antisemitismus, sondern auch mit zeitgemäßen Methoden, ihm entgegenzutreten. Bernard-Henri Lévy unterscheidet drei Formen, in denen sich der Antisemitismus heute äußert: als Anti-Zionismus, als Holocaust-Leugnung und als Gleichsetzung anderer Gräueltaten mit dem Holocaust. Er sprach sich für einen offensiven Zugang aus: "Wir müssen zum Gegenangriff schreiten." Von den drei gängigen Quellen von Attacken gegen Juden und das Judentum - rechtsextreme, linksextreme und islamistische -hält er die linksextremen und islamistischen für die gefährlicheren. Denn gegen rechtsextreme Ewiggestrige gebe es einen breiten gesellschaftlichen Konsens. Die Argumente der Linken, meist als Kritik an Israel aufgehängt, träfen viel eher auf allgemeines Verständnis und der islamische Antisemitismus könne "die Welt in eine Katastrophe führen". Der Philosoph ist überzeugt, dass die Allianzen, speziell mit den christlichen Kirchen, von elementarer Bedeutung seien.

Der über Jahrhunderte gepflegte katholische Antisemitismus ist in den letzten Jahrzehnten auf dem Rückzug. Viel häufiger fühlen sich Juden heute durch die säkulare Gesellschaft bedroht. So etwa vom Urteil eines Kölner Richtersenats, der 2012 die Beschneidung von Kindern als Körperverletzung einstufte. Für Maximilian Gottschlich, Professor für Kommunikationswissenschaften an der Universität Wien und Autor zum Thema Antisemitismus, ist das Urteil skandalös: "Das ist ein Eingriff in die Religionsfreiheit und das Elternrecht. Es löst diesen kleinen chirurgischen Eingriff aus dem Gesamtkontext der Religion heraus."

Ähnlich fielen die Reaktionen der jüdischen Welt auf das Ende Februar in Island verabschiedete Gesetz gegen die rituelle Beschneidung von Knaben aus. Die weibliche Genitalverstümmelung ist schon seit 2005 verboten. Das Wiesenthal-Center hatte schon 2015 von Reisen nach Island abgeraten, als das Stadtparlament von Rejkjavik einen Boykott israelischer Waren beschlossen hatte, bis die Besatzung der palästinensischen Territorien beendet wird.

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