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Garant des europäischen Marktes

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Messen dienen der Wirtschaft auf zweifache Art: sie verbinden und vermitteln, aber sie stimulieren und beleben auch. Je nachdem wir uns in einer Phase der Hochkonjunktur oder der, Konjiunkturdämpfung befinden, tritt die eine oder die andere Funktion mehr in den Vordergrund. Die letzten Berichte des Wirtschaftsforschungsinstituts bezeugen neben den schon seit einiger Zeit unverkennbaren Symptomen einer Stagnation eine auffällige Reserve der Käuferschichten, die hinter den vorhandenen finanziellen Möglichkeiten merklich zurückbleibt. Durch verfeinerte Qualität, größere Auswahl und psychologisches Eingehen auf die Kundeniwünsche könnte die Wirtschaft die heurige Wiener Frühjahrsmesse daher in erster Linie zur Steigerung des Kaufanreizes und zu einer Erweiterung des Handelsvolumens ausnützen.

Die Frühjahrsmesse 1967 wickelt sich vor einem denkbar günstigen internationalen wirtschaftspolitischen Hintergrund ab. Von allen Seiten mehren sich die Anzeichen, daß die Wirtschaft bestrebt ist, Unterschiede der politischen Systeme, der ökonomischen Struktur, die Egoismen einzelner Länder oder Wirtschaftszweige zu überwinden und zu einem wirklich gemeinsamen europäischen Markt zu gelangen, in dem Sinne, wie wir Österreicher den Begriff Europa verstehen.

Sowohl unser Handel mit den EFTA- und EWG-Ländern wie mit den Oststaaten weist solche erfreulichen Symptome auf. Hinzu kommt noch die wachsende wirtschaftliche Aktivität der afro-asiatischen Entwicklungsländer, die sich von Jahr zu Jahr mehr bemerkbar macht. Mit dem 1. Jänner 1967 sind die Zollschranken zwischen den Ländern der kleinen Freihandelszone endgültig gefallen. Die immer intensiveren und anscheinend erfolgreichen englischen Bemühungen um eine Annäherung an die EWG müssen auch für das Gesamtverhältnis EWG-EFTA bedeutsam werden. Die österreichischen Bestrebungen in Brüssel dürften in einem erhöhten Interesse der EWG-Staaten an unserem Land ihren Niederschlag finden.

Der wirtschaftliche Umformungsprozeß in den Oststaaten, nicht zuletzt bei unseren Nachharn OSSR, Ungarn und Jugoslawien, hat zum Teil schon zu einer wesentlich elastischeren Außenhandelspolitik dieser Länder geführt. Das berechtigt zu der Hoffnung, daß der nunmehr mögliche unmittelbare Kontakt mit den Erzeuger- oder Abnehmerbetrieben Österreichs Osthandel neuen Auftrieb geben wird. Allerdings sind auch verstärkte Bemühungen unserer Unternehmungen und unseres Außenhandels erforderlich, wollen wir nicht Gefahr laufen, in dem neuerdings einsetzenden Wettrennen um die Ostmärkte anderen westlichen Ländern gegenüber ins Hintertreffen zu geraten und die wirtschaftlichen und politischen Vorteile unserer Neutralität einzubüßen.

Auch im Handel mit den Entwicklungsländern gilt es für uns, einen psychologischen Vorteil hervorzukehren: Als einer der wenigen Staaten mit einem westlichen Wirtschaftssystem zählte Österreich niemals zu den Kolonialländern. Zwischen unserem Land und den afro-asiatischen Staaten besteht daher eine natürliche Vertrauensbasis, die wir zu gemeinsamem wirtschaftlichem Wohlergehen nützen müssen. Österreich könnte sich in zunehmendem Maße nicht bloß als Drehscheibe für den Ost-West-Handel, sondern auch für die Beziehungen der Entwicklungsländer mit den hochindustrialisierten Staaten erweisen.

Die Wiener Frühjahrsmesse hat der Wirtschaft unseres Landes seit jeher fühlbaren Auftrieb gegeben. Oft genug pflegten Betriebe den Start einer neuen Erzeugung auf diesen Termin zu verlegen. Die Frühjahrsmesse wurde gleichsam zum Symbol für wiederbelebende Kräfte und Impulse, nicht etwa weil unsere Wirtschaft Winterschlaf hielte, sondern weil diese jährliche Generalmobilmachung nun schon seit Jahrzehnten zu den traditionellen Institutionen unseres Landes zählt und zu einem Wettstreit der Ideen und Fähigkeiten auf nationaler und internationaler Ebene herausfordert.

Als einstiger langjähriger Messedirektor und als Bürgermeister der Stadt Wien, die sich mit ihrer Messe stets eng verbunden fühlt, darf ich den Wunsch aussprechen, daß auch diese Frühjahrsmesse die in sie gesetzten Erwartungen in jeder Hinsicht erfüllen und allen in- und ausländischen Interessenten viele erfolgreiche Geschäftsabschlüsse bringen möge. Daß unsere Gäste daneben auch einen Hauch von Wien verspüren sollen, jenes historischen, unvergänglichen und ewig jungen Wien, das über Grenzen und Länder hinweg nicht nur gemeinsame Erinnerung, sondern auch gemeinsame Zukunft sein will, ist mein persönlicher Gruß an die Messebesucher und mein besonderes Anliegen als Oberhaupt dieser Stadt.

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