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Kampf gegen Bonzen

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Im Westen wissen wenige über die chinesische Kulturrevolution etwas mehr, als daß eine Abrechnung Mao Tse-tungs mit seinem Rivalen Liu Schao-tschi und seinen tatsächlichen oder’ vermutlichen Anhängern stattfand, daß man die Jugendlichen gegen die ältere Generation und gegen die potentiellen Gegner Maos in der Partei hetzte und daß nicht nur die chinesischen Traditionen, sondern auch die ganze bisherige Kultur der Menschheit verdammt wird. Diese sind jedoch nur die äußerlichen Erscheinungen eines Kampfes, der eine tiefgreifendere Umwälzung anstrebt.

Regierung und Regierte

Das Problem, das die chinesischen Kommunisten zu lösen versuchen, ist nicht einmal typisch chinesisch. Es plagt gleichermaßen alle kommunistischen Regimes. Es ist die Kluft, die nach der Machtergreifung zwischen Parteikadern und Bevölkerung, zwischen Regierenden und Regierten entsteht. Sie wird mehr oder weniger offen zugegeben, und das Problem ihrer Beseitigung wird auf verschiedenste Art und Weise angepackt. Am krassesten formulierte die allgemeine Plage der regierenden kommunistischen Parteien Dzilas, als er den Begriff der „neuen Klasse” prägte. In China spricht man zwar nicht von einer „neuen Klasse”, verwendet aber für die Parteifunktionäre einen nicht weniger bezeichnenden Ausdruck: ein Parteisekretär, gleichwohl auf welcher Stufe, von der Grundorganisation in einer Fabrik bis zu den höchsten Gremien, ist ein „Machthaber”.

Wie wirkte sich dies aus? In einem Artikel des Parteiorgans „Jen min jih pao” vom 5. Oktober 1968 („Peking Rundschau” vom 15. Oktober 1968) über die Erfahrungen der Funktionärsschule „7. Mai” bei der Revolutionierung der Organisationen wird ein Fall angeführt, der typisch sein dürfte: „Ein alter Funktionär, Schafhirte bevor er sich während des Widerstandskrieges gegen die japanische Aggression der Revolution anschloß, hatte, nachdem der Sieg der Revolution im ganzen Lande errungen worden war, eine hohe Stellung erhalten und ein großes Einkommen bezogen. Er führte ein komfortables Leben und glaubte, dies durch seine Leistungen verdient zu haben.”

Nicht nur das Leben im Wohlstand und das Gefühl „diesen verdient zu haben” werden als eine Art von Degenerierung betrachtet, sondern „das beamtete Leben” überhaupt. Es sind im selben Aufsatz sogar noch kräftigere Ausdrücke über die Parteifunktionäre Zü lesen: „Einige der Funktionäre haben eine lange Zeit in Bürohäusern verbracht und nicht einmal den Wechsel der Jahreszeiten gemerkt. Sie lebten geistlos und hohlköpflg dahin… Eine ziemliche Anzahl Funktionäre waren in der Vergangenheit ,Drei-Häuser- Funktionäre : Zuerst das Elternhaus, dann das Schulhaus und danach das Bürohaus. Sie kamen mit Arbeitern und Bauern nur wenig in Berührung.”

Alle sollen arbeiten

Die Lösung zur Beseitigung der Kluft und zugleich zur Revolutionierung der Weltanschauung wurde in der Verpflichtung der Parteifunktionäre und außerdem der Verwaltungsund Wirtschaftsfunktionäre sowie des technischen Personals, ja sogar der ganzen Intelligenz jyįfaregcl- rechten und regelmäßigen manuellen Arbeit angesehen. Vor einiger Zeit hatte Parteichef Mao folgende Weisung gegeben: „Die Entsendung der Masse der Funktionäre zu körperlicher Arbeit bietet ihnen eine ausgezeichnete Gelegenheit, erneut zu lernen. Ausgenommen zu alte, schwächliche, kranke oder körperbehinderte, sollen alle Funktionäre danach handeln. Auch die jetzt weiter auf ihren Posten tätigen Funktionäre sollen gruppenweise zur körperlichen Arbeit eingesetzt werden.”

Nochmals in die Schule

Zur Wiedeiigewöhnung an die körperliche Arbeit und zur Umerziehung der Funktionäre wurde in der Provinz Heilungkiang auf einem Staatsgut eine „Schule für Funktionäre” errichtet, die den Namen „7. Mai” (Gründungsdatüm) erhielt und nach offizieller Darstellung „den Weg der Vereinigung mit den Arbeitern und Bauern” geht: die Funktionäre leisten — wie gesagt — manuelle Arbeit unter besonders schweren Bedingungen, lernen von den Bauern das Pflügen, Säen, Mähen und anderes mehr.

Ob das Regime tatsächlich erreichen wird, was es braucht wird von den einfachen Mitgliedern der betreffenden Volkskommune zum Ausdruck gebracht, nämlich „solche Funktionäre, die auf den oberen und den unteren Ebenen zu arbeiten imstande sind, ihren Dienst als .Beamte ebenso wie als einfacher Mann machen und die mit uns ein Herz und ein Sinn sind”, mag dahingestellt bleiben. Erreicht wurde eine öffentliche Demütigung der zur manuellen Arbeit eingesetzten Funktionäre. So hätten einige „mit tiefem Gefühl” gesagt: „Vom langen Aufenthalt in Büros wird man hohlköpflg und schwächlich. Man kann Wohlgeruch von Gestank nicht mehr unterscheiden und Freund und Feind nicht mehr auseinanderhalten. Im Umgang mit den armen Bauern und unteren Mittelbauern wurde uns erst bewußt, wie wir verstaubt waren und wie notwendig es war, uns wieder aufzufrischen.”

Drei Eigenheiten des neuen Arbeitsstils

Mao erstrebt eine neue Art von Arbeitsstil in der Partei und verlangt daher, daß man drei Eigenarten, die als wesentlich betrachtet werden, nachdrücklich pflegt: „Durch Verbindung von Theorie und Praxis die üble Gewohnheit zu überwinden, daß Reden und Taten miteinander nicht stimmen; durch engen Kontakt mit der Masse jede Neigung zu überwinden, sich von ihr zu isolieren und insbesondere die Cliquenmentalität zu überwinden; durch Selbstkritik die üble Gewohnheit zu überwinden die eigenen Fehler zu vertuschen.” (Aus dem Leitartikel der „Jiefangjun Pao” vom 23. September 1968, nachgedruckt in „Peking Rundschau” vom 22. Oktober 1968).

Die Absichten Pekings lassen sich vielleicht im Lichte einer Kritik an der sowjetischen Oberschicht besser erkennen, die nach der chinesischen Parteizedtschrift „Hung Chi” (Heft 4/1968, nach „Hsinhua” vom 18. Oktober 1968) in einem in der Sowjetunion von der „Stalin- Gruppe” verbreiteten Flugblatt enthalten sein soll: „Fundamentales Ergebnis der Aktivität des Chru- schtschow-Breschnew-Regimes in den 15 Jahren seines Bestehens ist die Schaffung der ausbeutenden herrschenden Clique, die die Interessen der Bourgeoisie vertritt und auf dem Zusammenschluß der Oberschicht der Intelligenz und der Intellektuellen von Geburt her mit den Spitzenpersonen in Partei und Regierungsinstitu- tionen, die sich von der Bevölkerung getrennt haben, basiert. Diese arrogante Schicht ist auf Kosten der Arbeiterklasse reich geworden, aber sie tut so. als kämpfe sie für die Interessen der Arbeiterklasse. Diejenigen, die tatsächlich für die Interessen der Arbeiterklasse kämpfen, brauchen keine Privilegien und keinen Luxus.”

Zur Beseitigung der Kluft zwischen Regierenden und Regierten dienen außer der Umerziehung durch manuelle Arbeit, u. a. auch das System des inzwischen im ganzen China errichteten System der Revolutionskomitees (bestehend aus Parteikadern, Vertretern der Armee und Vertretern der „Roten Garde”) und die neuen Weisungen zur Ausrichtung der Partei, wobei Überprüfung und Aufnahme von Parteimitgliedern nicht mehr ausschließlich Sache weniger Funktionäre sein, sondern öffentlich und im Zusammenwirken mit den „parteilosen Rebellen” geschehen soll.

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