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Sinkt Nassers Stern?

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Mit dem Stellungskrieg am Suezkanal begann noch nicht die „vierte Schlacht“ zwischen Ägypten und Israel, sondern er soll von den rasch zunehmenden inneren Zarfallser-scheinungen des nasseristischen Regimes ablenken. Der Widerstand gegen den glücklosen Nildiktator erreichte jetzt sogar die Kabinettsebene: Abdel Nasser akzeptierte das sensationelle Rücktrittsgesuch eines der wichtigsten Regierungsmitglieder. Rüstungsminister Abdel Wachab el-Bischri, gleichzeitig Generaldirektor der staatlichen Luftfahrtge-sellschaft, hielt seit August 1967 „den“ Schflüsselposten in der gegenwärtigen Führungshierarchie.

In Kairo ergeht man sich, angesichts des offiziellen Schweigens über die Demissionsgründe, in Vermutungen. Regierungsvertreter behaupten hinter vorgehaltener Hand, el-Bischri sei gescheitert an der mangelnden Effizienz der von ihm geleiteten „United Arab Airlines“. Informierte Beobachter lächeln nur über diese Version. Seit dem Absturz eines aus Mekka kommenden Pilgerflugzeuges bei Assuan, der 101 Tote forderte, erhebt man zwar schwere Vorwürfe gegen die UAA. Sie richten sich jedoch gegen andere Persönlichkeiten, und der Minister war lediglich zuständig für die Verwaltung. Die UAA-Direktion ist personell überbesetzt, und vorwiegend von ehemaligen mittleren Regimeexponenten, die man entweder belohnen mußte oder einfach abschieben wollte. Sie besitzen meistens wenig oder keine Sachkenntnis und beschäftigen sich außerdem häufig mit branchenfremden Nebenarbeiten. So gilt die UAA im Ausland als Tarnuntennehmen des Geheimdienstes „Mochabarat“.

Auf all das hatte el-Bischri wenig Einfluß. Er war weder verantwortlich zu machen für die Katastrophe von Assuan noch für die hauptsächlich durch die geschilderte Personalstruktur verursachte. mangelnde Effizienz der UAA.

Auf seinem eigentlichen Fachgebiet hatte der gebildete Technokrat bemerkenswerten Erfolg. Binnen knapp 19 Monaten vergrößerte er die ägyptischen Rüstungsanstrengungen in einem nie gekannten Ausmaß. Er erreichte alles Bisherige übertreffende, sowjetische Nachschublieferungen, Die inländische Waffen- und Munitionsproduktion brachte er auf einen vorher nicht erreichten Höchststand. Sein Verdienst ist die absolute Umstellung der Inlandsproduktion auf die Kriegswirtschaft — ohne allzu fühlbare Opfer auf dem Konsumgütersektor.

El-Bischris überraschender vorzeitiger Rücktritt führte also verständlicherweise zu vielseitigen Spekulationen. In westlichen Kreisen vermutet man, gerade sein tiefer Einblick in die ägyptische Rüstungsund Wirtschaftslage habe das ehemalige Kabinettmitglied davon überzeugt, daß der Nilstaat in absehbarer Zeit keinen weiteren Feldzug riskieren dürfe und daß die künstlich aufrecht erhaltene Kriegspsychose deshalb unverantwortlich sei.

Intime Kenner des Regimes liefern eine ganz andere Version. Sie weisen darauf hin, daß die von el-Bischri nebenamtlich geleitete „United Arab Airlines“ nicht ein Reservat verdienter Regimeproteges sei, sondern es in ihr zwei „Fraktionen“ gebe. Auf der einen Seite die der ausrangierten ehemaligen nasseristischen Widerständler. Viele von ihnen fanden eine Wartestellung in der Flugzeug-gesellschaft. Tatsächlich ist bekannt, daß es in der UAA seit längerem eine sehr aktive Untergrundzelle des Linksflügels der früher regierenden „Wafd“-Partei gibt. Sie unterhält, begünstigt durch die unverdächtigen Auslandsverbindungen der Gesellschaft, rege internationale Beziehungen, und zwar sowohl zu arabischen Nachbarländern als auch zu den im europäischen Exil lebenden ehemaligen führenden Wafdisten. Leitende UAA-Angestellte benutzen ihre legalen Auslandsreisen zu illegalen politischen Kurierdiensten. Kenner der Verhältnisse glauben, Abdel Wachab el-Bischri habe sich von den antinasseristischen Argumenten dieser Gruppe überzeugen lassen und sich schließlich lieber rechtzeitig von dem Regime getrennt, als in seinen unvermeidlichen Untergang hineingerissen zu werden.

Für diese Version spricht, daß die Demission — wie aus der Umgebung Abdel Nassers vertäutet — weitere personelle Umgruppierungen in der höchsten Führungsspitze nach sich ziehen dürfte. Der Diktator hat nur noch wenige überzeugte Freunde, und seit dem unaufgeklärten Selbstmord seines engsten Mitkämpfers Mohammed Abdel Hakim Amir, der keineswegs vergessen ist, erlebt er immer häufiger die Mutation vertrauter Anhänger zu Gegnern.

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