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Vom Werden der Menschheit

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VOM FAUSTKEIL ZUM EISENSCHWERT. Eine kleine Elnftihrunf in die Urfeschichte Niederösterreichs. Von Richard Pillionl. Verlag F. Berger, Horn. 1904, 110 Selten, 80 Bildtafeln. S 48.-.

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VOM FAUSTKEIL ZUM EISENSCHWERT. Eine kleine Elnftihrunf in die Urfeschichte Niederösterreichs. Von Richard Pillionl. Verlag F. Berger, Horn. 1904, 110 Selten, 80 Bildtafeln. S 48.-.

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Das vorliegende Büchlein ist auf Wunsch des Kulturreferates der niederösterreichischen Landesregierung entstanden, um in der Reihe gleichartiger Veröffentlichungen des niederösterreichischen Landesmuseums weiten Kreisen an der Geschichte des Landes Interessierter zu dienen. Fehlte doch bisher eine moderne Darstellung der Urgeschichte unseres Bundeslandes völlig, zumal ältere, vor Jahrzehnten erschienene Arbeiten kleineren Umfanges seit langem vergriffen und keineswegs mehr den modernen Anforderungen und dem gegenwärtigen Stand der Forschung entsprachen. Wer wäre hierfür berufener als der derzeitige Ordinarius für Ur- und Frühgeschichte an 'der Wiener Universität, Richard Pit- tioni, der noch dazu lange Jahre hindurch als Beauftragter der nieder- österreiohfechen Landesregierung die urgeschichtlichen Belange des Bundeslandes Niederösterreich im Landesmuseum selbst betreut hat.

Befand sich die Urgeschichtsforschung noch vor 100 Jahren im Stadium reinen Sammelns von Funden und ihrer Darstellung in Museen und in „Raritätenkabinetten", so ist sie heute zu einer ausgesprochen historischen Wissenschaft geworden. Mit Hilfe einer großen Zahl zum Teil auch naturwissenschaftlicher Hilfsdisziplinen (geologischer, physikalischer, chemischer Richtung) gelang es, ein hieb- und stichfestes chronologisches System auszubauen, das nicht nur die Einordnung der Fundkomplexe in genau umgrenzte Zeitepochen zu bieten vermag, sondern auch eine kulturelle und vielfach auch volksmäßige Gliederung des Fundstoffes ermöglicht. Unsere geschichtliche Erkenntnis vom Werden und von den historischen Grundlagen der heutigen Menschheit, von der Entstehung und Ausbildung ihrer sozialen Gliederungen, vom Werden, Entstehen und Vergehen völkischer Gemeinschaften steht heute schon auf vielfach kla-

rer und fester Basis. Wir haben gelernt, die dinglichen Hinterlassenschaften, die uns der Boden freigibt, als historische Urkunden zu werten und zu deuten und somit geschichtliche Erkenntnis menschlicher Kultur und menschlicher Kulturgruppen Jahrtausende weit über die Zeitepochen ischriftlicher Überlieferung in die Vergangenheit hin auszudehnen. Besonders die moderne „Radiokarbonmethode“ ermöglicht es, auch absolutchronologisch gesicherte Ansätze für weit zurückliegende Epochen zu gewinnen. Das war insbesondere für die Festlegung der Zeit des Überganges der Menschheit vom rein nomadischen Sammlerdasein der älteren Steinzeit (Paläolithikum) zur bäuerlichen Seßhaftigkeit der jüngeren Steinzeit (Neolithikum) von besonderer Bedeutung. So wissen wir heute, daß die ältesten bäuerlichen Kulturhinterlassenschaften im niederösterrelchisehen Lößland schon dem 5. Jahrtausend vor Christus angehören und daß die Entwicklung hier somit jener im Nahen Orient parallel verläuft, was noch vor kurzem nicht erkennbar gewesen ist Die modernen Ergebnisse der den metallzeitliehen Bergbau betreffenden Forschungen haben uns nicht nur für die Herkunft des Kupfers (alpiner oder östlicher Gewinnung) wertvolle Hinweise ermöglicht, sie haben uns auch für die soziale Gliederung der bronzezeitlichen und hallstättischen Menschheit unserer Gebiete wertvolle neue Aspekte verschafft. Die Tätigkeit einzelner Prospektoren und eines eigenen mit besonderen Kenntnissen und Fertigkeiten versehenen Bergherren- und Bergknappenstandes trat durch sie in ein völlig neues Licht. Hier sind gerade R. Pittionis eigene Forschungen und Erkenntnisse von bahnbrechender Bedeutung geworden. Aber auch unsere alten Ansichten vom wiederholten Wechsel der Wohnbevölkerung unseres Landes im Laufe der urzeitlichen Jahrtausende haben sich im Laufe des Fontschrei- tens der Forschung weitgehend geändert. Die Kontinuität des bäuerlichen Substrates der Grundbevölkerung trat immer mehr zutage, nur Herrenschichten wechselten und prägten den äußeren Charakter der Kultur eines Landes. Der Einfluß weltweiter geistiger Strömungen, weiträumigen Handels (schon im Neolithikum) tritt heute immer stärker hervor und verändert unser früheres historisches Geschichtsbild. Nur selten ist ein wirklicher Kulturbruch zu erkennen, der vielfach nicht auf politische, sondern auf klimatische und technische Änderungen (Salzbergbau!) zurückzu führen ist.

Nicht völlig zu befriedigen vermag die wohl verlagstechnisch bedingte bildliche Ausstattung des Buches.

Das hängt einerseits mit der Verwendung alter in ihrem Wert ungleicher Klischees zusammen, anderseits in ihrer oft unglücklichen und ungleichmäßigen Verteilung im Raum der Bildtafeln. Auch die Tatsache, daß deren Beschriftung nicht unter den Bildern selbst, sondern bloß auf einem vorgeschalteten Bildverzeichnis erfolgte, wird von vielen Benützern und Lesern als unpraktisch bezeichnet. Sehr begrüßenswert ist der reichliche Anmerkungsund Literaiturtext, der dem Interessierten die Möglichkeit weiterer Erkenntnisgewinnung bietet. Im ganzen eine höchst begrüßenswerte und wertvolle Bereicherung unseres nie- derösterreichiischen historischen Schrifttumes!

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