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Wohnungseigentum

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Der Historiker, der es sidi zur Aufgabe gestellt hat, die Geschichte des Stockwerks- und Wohnungseigentums zu verfolgen, wird sich bald darüber klar sein, daß die unterschiedlichsten Vertragsfiguren im Sinne eines realgeteilten Eigentums an Gebäuden im gesamten europäischen Mittelalter stark verbreitet waren.

Das klassische Beispiel für spätmittelalterliches und neuzeitliches Wohnungseigentum bietet nach Ch. L. Julliot die alte Festungsstadt Grenoble, wo sich entsprechend dem strategischen Charakter dieser Siedlung eine Stadterweiterung in das flache Land hinein nicht entwickeln konnte. Die Einwohner bauten Stockwerkshäuser und trachteten, ihr Verlangen nach Eigentum an Grund und Boden in der Weise zu befriedigen, daß sie ihre Wohnobjekte nach dem Prinzip des geteilten Eigentums errichteten. Als später die Festungsmauern fielen, blieben die Bürger von Grenoble bei der angestammten Gewohnheit und bauten weiter nach dieser schon vertraut gewordenen Regel, so daß das Stockwerks- oder Wohnungseigentum dem Herkommen entsprach und fortgesetzt wurde, das Einzelwohnhaus immer die Ausnahme bildete.

Dieses im Herkommen verwurzelte Prinzip der Aufteilung von Besitz und Eigentum hat wesentlich dazu beigetragen, eine bestimmte Ausdrucksform der Unabhängigkeit und Zufriedenheit zu erzielen. Von besonderem Interesse i9t zweifellos die Bemerkung des französischen Historikers Michelet, der in seiner Geschichte Frankreichs die Tatsache erwähnt, daß sich mit Rücksicht auf diese weitverbreitete Distribution von Besitz und Eigentum in Form des Stockwerks- und Wohnungseigentu pis in der gesamten Dauphine die Französische Revolution in Grenoble durchaus unblutig abgespielt hat.

Diese historische Tatsache führt uns zu schwerwiegenden Überlegungen. Sie ist vor allem für alle diejenigen von richtunggebendem Interesse, welche die Lösung der großen soziologischen Probleme, die sich in unserem scheinbar zur ewigen Unrast verdammten Kontinent in übergroßer Zahl darbieten, nicht in dem blutigen Rüstzeug von Revolutionen suchen, sondern das Strukturgeschiebe der europäischen Welt mit den Mitteln der Evolution behandelt wissen und — getreu dem großen Konzept der Entproletarisierung — das Welterbestehen ungesunder Gegensätze auf dem Gebiet der Güterverteilung ausgeschaltet sehen wollen.

In diesem Zusammenhang muß in aller Offenheit auch ausgesprochen werden, daß durch die in den letzten Jahren so zahlreich aufgetretenen Experimente auf allen volkswirtsdiaftlichen Gebieten das Vertrauen in die unantastbare Zweckbestimmung des B.echtes erschüttert wurde, was im wesentlichen dazu' beigetragen hat, den Eigentumsbegriff anzusdilagen und zu unterhöhlen.

Nun liegt es zweifellos in der Linie einer gesunden wirtschaftlichen Entwicklung, den Menschen dazu zu bestimmen, nicht nur ein in einem sogenannten Monatsbezug oder dem berühmten „sicheren“ Pensionsbetrag sidi ausdrückendes Einkommen zu erstreben, sondern vor allem auch an Besitz und Eigentum Freude zu gewinnen.

Den Eigentumsbegnff fundiert und stärkt man, indem man die Subjekte vermehrt, die Träger dieses Gedankens sein können; die Freude an Besitz und Eigentum steigert man, wenn man die Möglichkeiten erleichtert, diese beiden Werte mit immer geringer werdenden Mitteln erreichen zu können.

Soviel von der Philosophie dieser Rechtsform.

In den Ländern, in welchen nach diesem System gebaut und geschaffen wurde, haben sich zu diesem Zweck genossenschaftliche Vereinigungen gebildet, unbeschadet des Umstandes, daß die Gemeinsthaft der Stockwerkseigentümer keine Per ionenigemeinschaft des modernen Rechts, sondern eine deutschrechtliche Sachgemein- schaft bedeutet . Es ist jedoch nicht zu leugnen, daß die Tatsache eines gesunden, konstruktiven Aufbauens ir dem einen oder anderen der romanischen Länder, woselbst

Tr aite Formulaire de la division des maisons par etages et par appartements, Paris 1927.

Ch. £. Julliot a. a. O,

Wrl. Dr. Fritz Schwarzachen Rechtsfragen des Stockwerkseigentums, „Juristische Blätter", 1. März 1947.

das Stockwerks- und Wohnungseigentum für den Wiederaufbau bestimmend gewesen ist, mit Merkmalen der Spekulation vermischt war.

Ich muß als Propagandist dieser mehr.- mals genannten Rechtsform diese Tatsache besonders hervorheben und dem Gesetz geber den Rat erteilen, schon im Konzept die Möglichkeit spekulativer Auswüchse hintanzühalten suchen.

Der Gesetzgeber wird vor allem festzulegen haben, daß ein und derselbe Bauwerber nicht mehr als ein Objekt in Wohnungseigen tum erwerben darf. Es wird ferner zu empfehlen sein, die Errichtung von Häusern nach dem System des Wohnungscigentoms, beziehungsweise die Umwandlung von bisher im Einzelbesitz stehender Objekte in realgeteilte Häuser auf genossenschaftlicher Basis durchführen za lassen.

Eines aber muß noch besonders hervorgehoben, werden: der einzelne wird die Philosophie dieser Rechtsform nicht immer begreifen. Aber er wird seinen Vorteil, auf diese Weise Geld zu investieren, sehr bald in der Überlegung einsehen, mit dieser Geldanlage die Annehmlichkeit des unbeschränkt eigenen Heimes zu verbinden. Dies ist besonders wichtig in einer Zeit, in der wir längst erkannt haben, daß die Wohnung nicht, nur die Enge der unmittelbaren Umwelt bedeutet, sondern mit anderen Elementen bestimmend ist für Charakter, Sdiicksal und Lebensweg des einzelnen.

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