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Amerika, du hast s nicht besser!

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Die antisemitischen Ausbrüche der Jahreswende in verschiedenen europäischen Ländern haben große Aufmerksamkeit in den Vereinigten Staaten erregt. Und dann, am Wochenende des 2. und 3. Jänner, wurden drei Synagogen in New York mit dem Hakenkreuz bemalt...

Von den mehr als fünf Millionen Juden in den USA leben zwei Millionen in New York. Die Mehrzahl ihrer Familien ist aus Rußland und Polen eingewandert, und ihr „Pogromreflex“ ist selbst nach zwei, drei Generationen und trotz des wachsenden Einflusses ihrer Kultusgemeinden leicht zu erwecken. Denn der Antisemitismus ist auch in den Vereinigten Staaten von 1960 nicht unbekannt...

Gewiß gibt es lautstarke jüdische Organisationen. Gewiß findet man eine nachdrucksvolle Bejahung der jüdischen Eigenrassigkeit bei den zionistischen Vereinen. Gewiß sieht man jüdische Zeitungen — auf hebräisch und auf jiddisch — in den Straßen und koschere Lebensmittel in den Delikatessenhandlungen. Doch beschränkt sich all das auf die Großstadt, in erster Linie auf New York. Aber auch New York unterscheidet zwischen Juden und NichtJuden, und in dem Hinterland, das heißt in fast ganz Amerika, werden die in den Millionenstädten zivilisiert verschleierten Vorurteile unverhohlen zugegeben.

Die Träger des Antisemitismus sind allerdings nicht wie in Europa politische Gruppen, obwohl die sogenannte Haßliteratur auch den Vereinigten Staaten nicht fremd ist. Offiziell wird jede Diskriminierung verboten und von Amts wegen existiert sie nicht.

Tiefer ankert der Antisemitismus im gesellschaftlichen Leben, in der Wirtschaft und auf den Universitäten. Es ist verständlich, daß eine private Vereinigung selbst bestimmen will, wen sie als Mitglied aufnimmt und wen sie ablehnt. Das Recht zahlreicher Klubs und Golfklubs, Verbindungen und Korporationen, die Aufnahme von Juden zu verweigern, wird nicht bestritten. Auch findet man eine parallele Erscheinung in Klubs, Golfklubs und Vereinen, die nur Juden als Mitglieder haben wollen. Bedenklicher ist die Lage auf den Universitäten. Es ist allgemein bekannt, daß die führenden Akademien jüdischen Studenten gegenüber ein „Numerus-clausus“-System anwenden. Besonders beschränkt ist die Quota auf medizinischen Fakultäten und technischen Hochschulen. Bis vor einigen Jahren gab es sogar Institute dieser Art, die Juden überhaupt nicht aufnahmen. Da die Mehrzahl der fachlich hervorragenden Universitäten von privaten Mitteln leben, kann der Staat nicht eingreifen. Da das Quota-System statuarisch nicht fixiert ist, ist es auch gerichtlich nicht zu fassen.

Aehnliche Erscheinungen finden sich auch im Geschäftsleben. Einesteils wird zum Beispiel die Damenkonfektion von jüdischen Fabrikanten so beherrscht, daß es fast keine nichtjüdische Geschäftsleute im Fach gibt. In anderen Geschäftszweigen dagegen leisten sich nur einige' wenige angesehene Großunternehmen einen oder zwei „Renommierjuden“, um nicht der Diskriminierung zu verfallen.

Gas. Elektrizitiät, Oel und Versicherung sind Wirtschaftszweige, wo Juden nur in den seltensten Fällen Karriere machen. So seltsam es für den Durchschnittseuropäer klingen mag, ist auch die Hochfinanz von der Wall Street ein Kreis, in den Juden der Eintritt verweigert wird.

Ein wichtiger Grund für den Antisemitismus dürfte wohl in der Vielrassigkeit der Vereinigten Staaten zu finden sein. Eigenartigerweise haben sich die von der alten Heimat mitgebrachten Vorurteile nicht neutralisiert, sondern zu denen anderer Gruppen gesellt: Der „Katalog der Voreingenommenheit“ umfaßt heute Vorurteile gegenüber Iren, Italienern, Mexikanern, Indianern, Polen, Briten, Puertorikanern genau so wie gegenüber Negern, Juden, Katholiken und Protestanten. Kein Amerikaner ist vom Vorurteil geschützt und kein Amerikaner ist daran ganz unschuldig.

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