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„Aus den Gebirgen entspringen die Wasser..

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Bergbauembuch. Von Hermann Wopfner. Zweite Lieferung des 1. Bandes (S. 133 bis 443) mit über 50 Bildern, Karten und Tabellen. Tyrolia-Verlag, Innsbruck

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Bergbauembuch. Von Hermann Wopfner. Zweite Lieferung des 1. Bandes (S. 133 bis 443) mit über 50 Bildern, Karten und Tabellen. Tyrolia-Verlag, Innsbruck

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Die Tatsache, daß die zweite Lieferung dieses bedeutsamen Werkes nach langer und schon etwas banger Wartezeit („Furche" vom 1. Dez. 1951) nun doch, und zwar in überraschendem Umfang und reicher Ausstattung erscheinen konnte, hat uns mit außerordentlicher Freude und Genugtuung erfüllt. Das wird jeder nachfühlen können, der ungefähr weiß, wer Hermann Wopfner ist und welche überragende Kenntnis vom Leben und von der Arbeit der Tiroler Bergbauern in Vergangenheit und Gegenwart ihm eignet.

Die zweite Lieferung umfaßt das ganze zweite Hauptstück des Gesamtwerkes und ist damit der Bevölkerungs bewegung mit den schwierigen Problemen der Uebervölketung und der Güterund Hausteilungen gewidmet. Diese werden in fünf ausführlichen Kapiteln mit der ganzen Liebe und wissenschaftlichen Hingabe behandelt, wie sie nür ein Gelehrter aufzübririgen und durchzuhalten vermöchte, der ein ganzes Leben ihrer Erforschung geweiht hat. Die siedlungsgesohichtlichen Grundlagen und die geschichtliche Entwicklung, wie sie sich’ aus dem Verhältnis zu der Landesherrschaft und aus den stets schwieriger werdenden sozialen Auswirkungen der Uebervölkerung, der Teilungen, der Landflucht, aus Kriegen und Seuchen, aus Binnen- und Auswanderung, aus dem geographischen und sozialen Heiratsumkreis, aus dem Anerbenrecht und’ aus; der österreichischen : und italienischen Gesetzgebung ergeben mußte, werden uns hier eindringlich und Oft genug in erschütternder Weise klar gefriacht; Nicht mit schönen. Worten, sondern mit wissenschaftlicher Akribie und mit klaren Statistiken, die keine Ausflüchte dulden.. . . , . . ,

Immer wieder erfaßt einen der bedrückende Gedanke, daß die sich ab’lösenden geschichtlichen Epochen, je näher sie der Gegenwart kamen, um so weniger Verständnis für die. Urgegebenheffen und für die urtiefen Kräfte der gesunden Sitten dieses Bergbäuernvolkes aufbrachten, für ihren Kinderreichtum mit all den Nöten, die ihnen die zunehmende Raumnot und die zunehmende Verständnislosigkeit der „geschäftigen Welt" aufluden.

Es ist ergreifend, zu sehen, wie sich dieses tapfere, sittlich so hochstehende Bergvolk aus eigenen -Kräften zp helfen suchte. Eben durch Güter-, und Hausteilungen,. durch . Binnen- und Auswanderungen, durch Entfaltung eines besonderen Haus- und Gewerbefleißes, dem ..sie sich neben ihrer mehr als harten Bergbauernarbeit immer mehr hingeben mußten, in Leinen- und Lodenerzeugung, in Stricken und Klöppeln und Strohflechterei, im Kraxentragen und in Wanderarbeiten,. bis auch das alles nicht reichte und immer, mehr zur Landflucht zwang. Auch die heutigen Versuche, durch Anbau von Heilpflanzen, Heimatwerke u. ä. ihre Lage zu bessern, sind in dem: Buch nicht vergessen.

Zum Schluß noch ein paar Ziffern aus den wertvollen zwanzig statistischen Tabellen, in denen allein eine Unsumme von Arbeit steckt.

In Gesamtösterreich betrug die Zahl der land- und forstwirtschaftlichen Bevölkerung im Jahre 1934 noch 27, im Jahre 1951 aber nur noch 22 Prozent, hat sich also der Zahl in Deutschland (18 Prozent) schon sehr genähert. Wenn man bedenkt, daß sie um 1870 noch 75 Prozent ausmachte, so wird einem der erschreckende Rückgang der bäuerlichen Bevölkerung in den letzten 80 Jahren klar. Auch in Tirol erreichte sie noch im Jahre 1910 über 44 Prozent, sank aber dort im Jahre 1952 auf 25,6 Prozent.

Immerhin aber gibt es dort wie in den Alpen überhaupt noch einzelne Bezirke, die wie Ret- tüngsinseln aus der „Eiszeit der Volks- und Kul- türzertrümmerung" herausragen. Im Bezirk Lienz erreicht sie auch heute noch 43, in Imst 40,3 Prozent. Noch günstiger liegen die Verhältnisse in einzelnen Bergbauerngebieten: In Trins 50,4, in Navis 67,0, in Obernberg 76,3 und in Ried (Bezirk Landeck) 70,9 Prozent. Diese Ziffern sollten in allen politischen Kreisen und in allen Schulen immer wieder laut verkündet werden-. Sie machen das Erzherzog-Johann-Wort noch heute wahr: „Aus den Gebirgen entspringen die Wasser, da ist noch der Menschheit Kern, von da muß Rettung kommen!" Es ergibt sich aus diesen Ziffern für ganz Oesterreich die unabdingbare Forderung, diese Rettungsinsein unserer Volks- und Lebenskraft mit allen Mitteln 2U hegen, zu fördern und verbreitern zu helfen. Nur wenn es gelingt, diesen „Mutterboden", zu retten, wird unser Vaterland „äilen Gewalten zum Trotz sich erhalten!" Daß man das überall einsehen möge, erscheint uns sehr viel wichtiger als sehr viel anderes, von dem die Presse aller Art übervoll ist

Schon um jener Ziffern willen allein zählen wir Hermann Wopfners Werk und sejne Vollendung., zu den .bedeutendsten und wichtigsten Arbeiten unserer gesamten wissenschaftlichen Literatur.

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