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Die Mühle der Dialektiker…

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Weise Sprüche hatten von je schon in der Kunst wenig Platz. Das wußten die Weisen so gut wie die Künstler. Sei’s auch nur aus o m b r a g e, die Philosophen gaben der Beschäftigung mit Schön und Häßlich in ihren Bemühungen nie sonderlich Raum. Das 18. Jahrhundert war längst angebrochen, ehe Baumgarten den schmalen Ausgeburten denkerischer Artistik wenigstens zu einem selbständigen Titel verhalf: er nannte es Ästhetik. Zu viel mehr als Namen kam’s auch weiter nicht. Kant kritisierte die Ästhetik, Hegel systematisierte sie, Nietzsche leugnete sie, wie das einer tut, der als Künstler denkt und schreibt. Besser wurde sie nicht.

Der V. Hegel-Kongreß in Salzburg hielt an der Tradition fest. Sein sachliches Bestreben galt Hegeln, nicht der Kunst. Der Philosoph selbst hatte in seinem Reich des Absoluten die Kunst als bloß äußerliche Manifestation des so innerlichen Geistes zur untersten Stufe gefügt. Das Niveau, auf dem Hegelianer seither Auskünfte über Kunstfragen erteilen, hat sich nicht gehoben. Am besten noch, man hört sie von anderen Dingen reden. Etwa von theologischen Horizonten, über denen keine neue Sonne Griechenlands aufgeht, über die vielleicht aber neuer Glaube kommen muß. Oder von Sprache als Zeichen, wie Karl Löwith es tat. Schwerfällig wälzte sich das Mühlrad der Tradition, und nicht umsonst: Das kleine Korn, in dem Sprache und Welt keimten, wurde zu aporetischer Skepsis zermahlen.

Freilich: wo eine Mühle, dort viel Geklapper. Ist die Mühle dialektisch, wird eben dialektisch geklappert. Die Russen, zahlreich erschienen, suchten durch Vorführung der schnurrenden Mechanik historischer Produktionsprozesse Beifall für ihre v e r fabrizierte Kunst zu finden. Mit einem „Sie sagen’s ja beide“ wird Hegel abgemarxt und jener Realismus der Kunst oktroyiert, der mit Realistisch sachfremd, weil von der Sache abgezogen, meint. Wolfgang Heise, Ost-Berlin, betäubte mit einer marxistischen Theorie der Satire, mit Operativem und dem Auftrag verändernder Praxis, wie es Hegel nicht gesehen haben mochte. Die bekannt jungen, kräftigen, aufstrebenden Klassen bedienten sich der Satire, um klapprigen Ausbeutern und abgelebten Herrschern die Maske vom Gesicht zu reißen. Seien die Fratzen nur einmal bloßgestellt und dem Lachen der Massen preisgegeben, sei der Weg bis zu ihrer Vernichtung durch die neue Klasse nicht mehr weit. Die Konsequenz: eine qualitative Wendung zum endgültig Besseren, an die kein Satiriker je glaubte. Die klassenkämpferische Intention erschöpfte sich von Lukian über Swift bis Kraus in der Selbstqual, weil sie alle nur die Wahl zwischen den Masken des Betruges und den noch viel entstellteren Fratzen der Ehrlichkeit wahrhaben konnten. Auch wenn einer im 20. Jahrhundert seine enthüllenden Zeilen bei einem Magister des 15. Jahrhunderts bestellt, der es offenbar besser konnte, bricht noch lange nicht die Satire ohne Verzweiflung, die Satire des optimistischen Selbstbetruges an.

Da und dort war’s auch anders. Jan P atocka aus Prag referierte über die Entwicklung der ästhetischen Auffassung bei Hegel, und die Umrisse selbständigen Denkens, mündigen Anspruchs traten hervor. Artete sonst die Ratlosigkeit gegenüber Zukunftsfragen ins Prognostizieren aus, hob sich Ernst Fischer durch seinen Witz und sein vorsichtiges Anliegen ab. Da und dort kein Klappern der Mühle, kein Wälzen des Rades, da und dort der frische Atem des ■ Ungewissen. Für einen Philosophenkongreß ist damit schon fast Positives gesagt.

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