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Ein zorniger Moralist

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REQUIEM EUR HABSBURG. Erzählungen Ton Miroslav K r 1 e ± a. Aus dem Serbokroatischen. Band 166 der Reihe „Die Bücher der Neunzehn“. R. Piper & Co., München. 373 Seiten. DM 12.84.

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REQUIEM EUR HABSBURG. Erzählungen Ton Miroslav K r 1 e ± a. Aus dem Serbokroatischen. Band 166 der Reihe „Die Bücher der Neunzehn“. R. Piper & Co., München. 373 Seiten. DM 12.84.

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Leben und Werk Miroslav Krlezas (Jahrgang 1893) wurzeln in einer Humusschicht aus k.-k.-Bastän- den. Im phantomartigen Nachleben erscheint die Doppelmonarchie als liebevoll gehaßter Gegenstand der Darstellung, ihr Zerfall als Ursprung des Verfalls einer etablierten Gesellschaft, die mitverantwortlich war für die trostlosen sozialen Verhältnisse in Kroatien. Krleza, der mit 19 Jahren aus der Budapester Militärakademie ausbricht, um an der Seite der Serben gegen die Türken zu kämpfen (1912), der zwei Jahre darauf in fremder Sache Soldat wird und für Habsburg nach Rußland marschiert — ihm bedeutete der Krieg mehr als nur ein literarisches Thema. Ihm wurde daraus eine aufwühlende Auseinandersetzung mit den „Todsünden der Gesellschaft“. Leidenschaftlich wandte er sich gegen den Krieg, dessen Machtapparat den einzelnen unterdrückte und terrorisierte. Wo er dem Leben auf der Spur war, kroatische Gott Mars "enthält die Klage: So viele Menschen- wurden erschossen, daß man sich gar nicht zurechtfindet auf diesem Friedhof. Es ist schwer zu erkennen, wer wen erschossen hat… wer wen und weshalb mordete und auch, wer lebt und wer tot ist.“

Immer schon ist auf der Balkan benannten Halbinsel Europas, Schnittpunkt großer Weltkultüren, Tod der vertraute Gast des Lebens gewesen, beigemischt allen Tagen, in enger Nachbarschaft des vollgelebten Daseins, der gewalttätigen Liebe, der geheiligten Mutterverehrung. Aber es ist ein anderer Tod, den zwei jüngere Schriftsteller, die Montenegriner Miodrag Bulatovic und Milovan Djilas, in ihren Erzählungen schildern, und wieder ein anderer bei Krleza. Dort wird die blutige Entleibung fast zum magischen und barbarischen Menschenopfer, eine wie selbstverständlich wirkende Brutalität im Ausnahmezustand gewaltsamen Lebens und gefährdeter Existenz; bei dem aus der lateinischen Wurzel seiner Heimat erwachsenen Krleza braut sich der Grundstoff für den Tod eher aus den privaten Komödien und Tragödien im kleinkarierten Alltag, Ort so vieler Banalitäten und so mancher Hoffnungen. Meist ist es die Welt „kleinstädtischer Tröpfe“, „selbstsüchtige Skelette unterwegs auf der Durchreise durchs dumme Leben“. Langweile, Öde, einsame Verlorenheit inmitten einer zivilisatorisch aufbereiteten Gesellschaft hemmen das Leben. Mancher, der zu leben glaubt, ist schon abgestorben. Tausend und ein Tod hieß eine Geschichtensammlung Krlezas. Gemeint ist damit die Unzahl der Stufen, die einer, „den geheimnisvollen, geradezu kosmischen Gesetzen menschlicher Dummheit folgend“, der letzten Stufe, dem eigenen und endgültigen Tod, vorweg- ndmmt.

Einige Stücke dieser Sammlung wurden in die Sonderausgabe der Bücher der Neunzehn übernommen. Sie enthält insgesamt elf Geschichten, von denen sieben von jener „letzten Stufe“ handeln, wie schon die Titel anzedgen: Am Sterbebett, Der Tod des Franjo Kadaver, Der Tod des Thomas Bakran. Bereits der erste Satz der ersten Geschichte: Die Grille unter dem Wasserfall enthält die Leitidee vieler Geschichten des Buches: „Seit jüngster Zeit lebe ich mit den Toten, mit ihnen halte ich Zwiesprache, nächtelang, und das ist mein Geheimnis: Meine Gespräche mit den Toten sind unverhältnismäßig lebendiger als alle Berührungen und alle Worte, die Ich mit Personen zu wechseln pflege, die mich als angeblich Lebende umgeben.“ Und dann folgt ein Gespräch über Tod und Unfug des Sterbens, über Frauenschoß und Zeugung, mit einer Fülle von Menschen und Gesichtern, des bürgerlich „komplett schiffbrüchigen“, bis zur Bewußtlosigkeit vollgesoffenen Doktors, der im sternübersäten Abenddämmer vor dem Wirtshaus eine Grille („Stimme der Natur… frühe Botin nahenden Herbstes“) entdeckt zu haben glaubt. Die Geschichte enthält auch schon die anderen, immer wiederkehrenden Motive: den homo zylindriacus, „den Mann mit dem Zylinderhut, einer guten Verdauung und dem berechtigten Anspruch auf Pension“; die Trostlosigkeit kleiner Provinzstädte mit ihren verdreckten Gassen und alten Dächern „seltsamer, unbegreiflich alberner und grauer Häuser“, mit verwanzten Kaffeehäusern und Kneipen voller „Wein, Einsamkeit und Rauch“ in einer ebenso „rätselhaften wie unerforschten alleralltäglichsten Wirklichkeit“.

Nur wenige dieser zwischen 1917 und 1948 entstandenen Geschichten halten nicht das Niveau und erscheinen entbehrlich. Bleibt noch das 30 Druckseiten umfassende Requiem für Habsburg, eine dokumentarisch belegte Schilderung in eigener Sache, die dem Band seinen Titel gab. Es ist die endgültige, in einer faszinierenden Zusammenballung von Anklage, Hohn, Schmerz und Empörung erfolgte Abrechnung des k. u. k. Frontsoldaten und kroatischen Patrioten Krleza mit dem ungarischen Feudalismus und der Donaumonarchie, als er in einer Novembemacht des Jahres 1918 in einem Agramer Kasino den überschäumend fröhlichen „Leichenschmaus“ durch Zwischenrufe und -reden störte, da die „Blüte der Agramer südslawischen Intelligenz“ den Untergang Österreich-Ungarns feierte.

„ … im Schweizerflügel der Wiener Hofburg zittert Kerzenglanz, Habsburg liegt aufgebahrt auf dem Katafalk“ und hier feiern sie „die kroatische Hochzeit mit den Karad- jordjewitsch! Aus den besoffenen Hochzeitsgästen spricht heute der Branntwein … und führt sie schon so, daß sie sich im Wacholder- und Zwetschkenschnaps wälzen wie in einer vollbespieenen Arche Noah. Die ganze Galeere des Nationalrates der Serben, Kroaten und Slowenen schaukelt auf den Wogen dieser alkoholischen Sündflut auf und nieder mit ihrer ganzen Last von Giraffen und Affen, und alles kreischt, alles blökt und alles brüllt kreuz und quer im ganzen Land…“ „Ich schämte mich aufrichtig meiner selbst… ich schämte mich für alle in dieser besoffenen Schenke, denn damals war ich noch ein sentimentaler Lyriker…“ „Aus dieser kroatischen Schenke flog ich hinaus … Mit einigen kräftigen gestiefelten Fußtritten in den weicheren Teil meiner irdischen Substanz (der in besseren Prosawerken nie namentlich genannt wird) beehrt, blieb ich ausge- pflffen und niedergetreten… zurück.“

Kompositorische Fragen, Probleme des Erzählens oder Nichterzählens, die zur modernen westlichen Literatur gehören, liegen ganz außerhalb dieses seltsamen, genialen Schriftstellers und seiner zwingenden Sprache. Was geschehen ist, muß berichtet werden und im Gedächtnis weiterleben, weil es so war. Geschichte und Geschichtenerzählen bilden noch eine Einheit. Krlezas Werk gehört zu einer Art volkstümlicher Weltliteratur jenseits der Spitzenliteratur der Moderne.

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