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Preistreiberei in Bräuten

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Karl May ist ins Hebräische und, es ist anzunehmen, auch ins Arabische übersetzt, aber seihen Helden, die wir noch vor 20 Jahren immer wieder zwischen Kairo und Bagdad trafen, wird, vor allem in Israel, immer weitergehend jede Existenzmöglichkeit entzogen. Nicht die immerhin sympathische Verbesserung der Sicherheitsverhältnisse ist es, die hier jede Art von Revolverromantik literaturunfähig macht, sondern der allmähliche Zerfall der dem arabischen Osten eigenen sozialen Struktur und das bedauerlich schnelle Schwinden ihrer Mentalität.

Wie in allen arabischen Gebieten, gilt auch in den muslimischen Bezirken Israels der schon im Kur'an angedeutete Brauch, daß der Bräutigam dem Brautvater für das Mädchen eine bestimmte Summe Geldes hinzulegen hat. Diese Summe, die in den guten alten Zeiten bis vor 20 Jahren kaum die Höhe von 15 Pfund überstieg, erhöhte sich erst langsam, dann immer sprunghafter, bis sie schließlich die Höhe von 5000 bis 6000 Pfund erreichte. Als nun gar, schlagartig, der Dollar auf 3 israelische Pfund festgesetzt wurde, stieg der Marktpreis für Bräute in Höhen, die für 90 von 100 der Heiratsfähigen hoffnungslos sind. Es kam sogar vor, daß Brautväter, da sie im Radio von der Währungsreform hörten, sofort ablehnten, den in wochenlangen Verhandlungen festgesetzten Mahr anzunehmen.

Die künftigen Ehemänner demonstrierten und verlangten von der Regierung, daß sie etwas gegen die Preistreiberei in Bräuten unternehme und Höchstpreise festsetze. Da aber die Regierung in Dingen, die auch nur entfernt mit Religion, also mit dem von den Engländern übernommenen Status quo, zusammenhängen, überaus vorsichtig ist, geschah nichts, und die Spekulation in Bräuten ging weiter.

Gegen den „Brautwucher“

Auf einer Konferenz der Union junger arabischer Männer in Israel wurde nun ein Heiratsstreik vorgeschlagen, aber diese umgekehrte Lysistratapolitik wurde abgelehnt. Hingegen wurde beschlossen, die arabischen und auch die drusischen Parlamentsabgeordneten zu veranlassen — auch bei den Drusen stiegen, wenn auch geringer, die Brautpreise — ein Gesetz gegen den Brautwucher einzubringen. Gleichzeitig will man preissteigerische Brauteltern gesellschaftlich boykottieren, und damit wird die Aktion zum offenen Kampf der Geschlechter, da an einem solchen Boykott ja nur die Jugend, aber auch nur ein Teil der weiblichen, teilnehmen würde. Denn wenn auch die meisten Mädchen für eine brautgeldlose Gesellschaft sind, in der sie sich, anders als heute, ihren Bräutigam selbst aussuchen können, sind andere wieder für ein hohes Mahr. „Je höher das Mahr ist, desto höher ist die Stellung der Frau in den Augen des Mannes“, argumentieren sie, „und wer für seine Frau viel gezahlt hat, wird sie um so besser behandeln, um nicht das viele Geld zu verlieren“. „Und überdies“, sagte eine arabische Studentin der Universität in Jerusalem einem Mitarbeiter der arabisch-jüdischen Zeitschrift ,.Ner“, „je mehr er arbeiten muß, um das Mahr zusammenzubringen, desto feiner bin ich für ihn“. Ob dieser

Schluß richtig ist oder nicht — die soziale Brautrevolution im arabischen Israel ist da und wird, trotz der hermetisch geschlossenen Grenzen, auch in die Nachbarländer übergreifen. Sie ist der erste große Einbruch in eine das Antlitz des Vorderen Orients formende Tradition, die zusammenfallen muß, da auch von der älteren Generation kaum mehr als ihre Formen verteidigt werden.

Leider, und dies ist in allen arabischen Siedlungsgebieten der Fall, besitzt die junge, das Erbe antretende Generation nichts Eigenständiges, das sie an Stelle dessen setzen könnte, was sie über Bord wirft. Die vereinzelten warnenden Stimmen von Verteidigern geistiger Werte des Islam werden von den Politikern übertönt. Ein neuer Karl May müßte sich sehr beeilen, um zumindest bei den Beduinen noch etwas zu finden, was er nicht von seinem Fenster in Dresden sehen könnte.

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