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Stürzt der „kleine König“?

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Stürzt König Hussein? In der Siebenhügelstadt Amman gibt es, zum erstenmal seit dem Sechstagekrieg, wieder Umsturzgerüchte. Auf dem Dschebel Haschimi, im Basman- Palast, regieren Ratlosigkeit und Sorge. Domestiken kolportieren, der Monarch trenne sich selbst im Schlafzimmer nicht von der Pistole. Politiker sprechen, hinter vorgehaltener Hand, von Meinungsverschiedenheiten zwischen König und Kronprinz Hassan. Auf dem gegenüberliegenden Dschebel Amman, im „El-Urdon“-Hotelpalast, palavern arbeitslose Geschäftsleute über die trüben Zukunftsaussichten. Sie sind die einzigen Gäste. Drunten in den dazwischenliegenden engen Wadis, die den Stadtkern bilden, treten sich Einheimische und Flüchtlinge gegenseitig auf die Füße1. Die Viertelmillionenstadt platzt scheinbar aus allen Nähten. 40.000 bis 60.000 Zuwanderer bevölkern die Sük-Gassen und den im tiefsten Taleinschnitt, neben der geschäftigen Scharia ibn-Talal, gelegenen Lumpenbasar. Durch seine ungepflasterte Mulde fließt ein schmutziges Rinnsal. Daneben stehen wackelige Wellblechhütten. Tagsüber handelt man in ihnen um ein paar Fils mit alten Kleidern und abgelegten Uniformstücken, Tonkrügen, gebrauchten Betten und abgewrackten Maschinenteilen; nachts sind sie Elendsquartiere. Darüber lasten sämtliche arabischen Un-Wohl- gerüche. Hier war schon immer eine revolutionäre Brutstätte. Jetzt ist es ein brodelnder Kessel.

Überall Gespenster

Ordnungshüter wagen sich ungern allein in diesen Hades. Armee und Polizei werden ohnehin sichtlich immer nervöser. Unmöglich festzustellen ist, ob sie auf die wachsende Unzufriedenheit reagieren oder die allgemeine Unsicherheit sie ansteckt. Jedenfalls stehen an allen Wegkreuzungen auffällig viele Polizisten, überall wachen Soldaten, und an den Ausfallstraßen kontrolliert man, was früher unvorstellbar gewesen wäre,

auch die Ausländer. In dem sonst so aufgeschlossenen Land wächst der Fremdenhaß. In der Hafenstadt Akaba wurde vorübergehend ein Deutscher festgenommen, und sogar in den Ammaner Hauptstraßen beobachtet man mißtrauisch die wenigen Europäer.

Überall wittert man Verschwörer. Im „Ali Baba“ sitzen in verschwiegenen Nischen erregt diskutierende Männer. Kommt ein Unbekannter, verstummen sie. Ähnlich ist es an Straßenecken und vor Kinos. Überall verdrücken sich, sobald sich eine Uniform zeigt oder ein fremdes

Gesicht, tuschelnde Grüppchen. Man wird offensichtlich nicht gern miteinander gesehen.

Was ist Wirklichkeit, was Einbildung?

Niemand weiß das so genau, und typisch dafür ist, daß selbst ernsthafte Leute, nicht ohne dabei scheu um sich zu blicken, eine Weissagung über den König zitieren. Ihr zufolge prophezeite „Schwester Gurcu“, eine im ganzen Vorderen Orient bekannte türkische Sibylle aus dem ost-anato- lischen Flecken Dijarbakir, einen bevorstehenden Anschlag gegen Hussein. Ob er gelingen werde, vergaß sie hinzuzufügen. Doch in Amman scheint es, als warte jedermann auf diesen Augenblick. Der König steht, soviel ist sicher, vor einer gefährlichen Belastungsprobe.

Hussein II. stammt aus einem der ältesten arabischen Herrscherhäuser. Haschimiten waren schon Prophet Mohammed und die Kalifen Ali und Abbas. Bis zum ersten Weltkrieg stellten deren Nachkommen, 1517 bis 1916 unter osmanischer Oberhoheit, die Mekkaner Emire. Nachdem er die Unabhängigkeit erlangt und den Hedschas erobert hatte, wurde Hussein I. (1853 bis 1931) Scherif. 1924 unterlag er aber gegen Ibn Saud den Großen. Er griff noch nach der verwaisten und seither nicht mehr verliehenen Kalifenwürde, dann mußte er abdanken und starb im Exil. Hedschas fiel an Saudi-Arabien.

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