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Der große Einzelgänger

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BRIEFE. Von Hermann Hesse. Erweiterte Ausgabe. Suhrkamp-Verlag, Frankfurt am Main, 1961. Sonderausgabe in „Die Bücher der neunzehn“. 50 Seiten. Leinen. Preis 11.80 DM.

An der literarischen und menschlichen Qualität Hermann Hesses — und beide gehen Hand in Hand — ist nicht zu rütteln. Die moderne Zeit, und in ihr besonders die besser-wis-sen-wollende Jugend, hat verschiedentlich versucht, das Werk des Nobelpreisträgers von 1946 zu bekritteln und damit auch den Menschen Hesse mit anderen als ihm gebührenden Maßstäben zu messen. Allen, die den Versuchen und Versuchungen solcher Art zugänglich sind, sei empfohlen, In dem nun erweitert vorliegenden Sammelband der Briefe Hermann Hesses zu lesen, um wieder deutlich vor Augen zu haben, wer dieser Mann eigentlich war, um einzusehen, von welch geringem Gewicht eventuelle formal-ästhetische oder entwicklungsgeschichtlich bedingte Einwände sind. Hesse tritt uns hier in seinen bezeichnenden Lebenshaltungen entgegen: als der einsame Kämpfer für seine Ideale, als fanatischer Gegner aller faschistischen Tendenzen, als unbestechlich im Urteil, kritisch auch gegenüber Freunden, wenn es um Sachliches geht. Er findet den Weltzustand morbid und bedrohlich, er kämpft dagegen, den Glauben an die Menschheit und die Lust an der Mitarbeit zu verlieren. Darum wird er ein warmherziger Anwalt der Jugend, für die er sich noch hochbetagt und krank immer wieder Zeit nimmt, sie zu belehren, um ihr zu helfen. Er

schreibt an einen 14jährigen, ungewöhnlich reifen Japaner — und tut dies wohl als Repräsentant Europas. Er begutachtet die Lyrik einer jungen Dichterin und, obwohl dieses Urteil positiv ausfällt, erteilt er ihr den Rat, zu einem „richtigen Beruf“ zu greifen, der die Sicherheit der Einordnung und die soziale Vollberechtigung gibt. Alles ist einfach, plastisch und drastisch gesagt, knapp und präzis im Ausdruck, von einer erfreulichen Nüchternheit besonders in den „Antwortbriefen“ — und die meisten Briefe Hesses sind solche. Wenn er Briefe schreibt (er tut es mit zunehmendem Alter sichtlich immer schwerer), geht es ihm um Trost, Erklärung und Hinweis, nicht auch um ästhetisch-künstlerische Formulierungen, wie sie etwa Rilke liebt. In unerbittlicher Strenge nützlich sein, das will Hesse noch als sich langsam von der Welt Abkehrender, nicht indem er auf sein Werk pocht, eher indem er aus seinen bitteren Erfahrungen Bescheid und Zurechtweisung gibt. So wird der Dichter zum Diener am Leben — und das muß ihm heute mehr denn je gedankt werden. Die letzte Konsequenz aus seiner Dichtergabe ist die: sich mehr verantwortlich zu fühlen, nicht vor den Literaturbeflissenen, vielmehr vor den Menschen mit ihren verschiedenen Anliegen und Leiden.

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