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Zwei Dezennien Wirtschaftsaufbau

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LICHT UND IRRLICHT DES ÖSTERREICHISCHEN WIRTSCHAFTSWUNDERS. Von Karl Ausch. Verlag der Wiener Volksbuchhandlung. 376 Seiten, Preis S 158.—.

Die Wirtschaftsgeschichte gehört hierzulande leider zu den Stiefkindern der Historie. Gerade sie aber wäre bitter nötig, um ein wenig zur Hebung des Verständnisses für wirtschaftliche Zusammenhänge beizutragen. Dankbar begrüßt man es daher, wenn aus bewährten Federn Darstellungen zur wirtschaftlichen Entwicklung erscheinen, seien sie auch sehr subjektiv.

Generalrat Karl Ausch, durch viele Jahre als Wirtschaftsredakteur der „Arbeiter-Zeitung” ob seiner scharfen, aber immer von Sachkenntnis getragenen Artikel nicht nur geachtet, sondern auch gefürchtet, hat rechtzeitig zum Gedenkjahr der Zweiten Republik ein Buch über zwei Dezennien österreichischen Wirtschaftsaufbaues vorgelegt. Das Wort „Irrlicht” kennzeichnet bereits den kritischen Standort des Autors. So wie die Leitartikel von „k. a.” ist auch dieses Buch von einem leidenschaftlichen journalistischen Temperament getragen. Karl Ausch ischreibt mit offenem Visier, man kann daher von ihm nicht mildes Verzeihen erwarten, dort, wo er jahrelang im Angriff war, er leugnet auch gar nicht, daß er dieses Buch vor allem als Sozialist geschrieben hat. Aber anders als viele seiner — auch im geistigen Format wesentlich unbedeutenderen — Epigonen, ist Karl Ausch ein ehrlicher Gegner und Gesprächspartner zugleich. Man weiß, daß er noch zu jenen alten Sozialisten zählt, die nicht nur ein bescheidenes Leben Vorleben, sondern die auch ständig bemüht sind, ihren geistigen Horizont zu erweitern. Karl Ausch hat denn auch den Ruhestand nur als einen Aufruf zu schöpferischer Muße aufgefaßt.

Man könnte mit ihm über manches diskutieren, etwa über den von seiner Partei 1952 inszenierten „Bankensturm” oder über seine Einwendungen gegen gewisse Maßnahmen zur Förderung der Investitionstätigkeit. Aber wichtiger als dies sind die aus der Weisheit eines langen Lebens im Dienste der Öffentlichkeit, aber auch aus der Resignation des Erfahrenen gezogenen Schlüsse. Etwa wenn Ausch sehr prononciert gegen die moderne „Gefälligkeitsdemokratie” zu Felde zieht, die mit Schuld an der stetigen Verschlechterung der Kaufkraft trägt, oder wenn er der österreichischen Bevölkerung vorhält, sie dürfe nicht erstaunt sein, daß sie sich mit so vielen schlechten Wohnungen begnügen müsse, sei sie doch nicht bereit, für das Dach über dem Kopf mindestens ebensoviel oder mehr auszugeben als für Bier, Wein oder Schnaps.

Sehr aktuell sind die klaren Einsichten des Autors, daß jedermann wohl ein Arbeitsplatz, aber nicht der Arbeitsplatz — geradezu pragmati- siert — garantiert werden könne, „k. a.” apostrophiert hier wörtlich auch die Gewerkschaften, die im verstaatlichen Bereich eine sehr unrealistische Politik bezüglich der Arbeitskräfte verfolgen.

Gerade herzerfrischend sind die Schlußabsätze seines Nachwortes, in denen er eis beklagt, daß man mit einem Volk, das so wenig über wirtschaftliche Zusammenhänge orientiert ist, kaum eine zeitnahe Wirtschaftspolitik machen könne.

Der letzte Satz ist allen Politikern, gleichgültig welcher Gouleur, ins Stammbuch geschrieben: „Der Regierung und den politischen Parteien kann der Vorwurf nicht erspart bleiben, daß sie auf diesem Gebiet (der wirtschaftspolitischen Aufklärung) entweder nichts tun oder sich mit einseitigen, politischen Darstellungen begnügen. Damit erschweren sie sich nur selber die Erfüllung ihrer Aufgaben: mehr ehrliche Aufklärung über die strittigen wirtschaftlichen Fragen würde es ihnen leichter machen, sich auf eine gemeinsame Wirtschaftspolitik auf breiterer Front zu einigen.”

fühlt sich außerstande, nach der Rückkehr in seinen deutschen Wohnort einen Artikel über den Karabinieri-Prozeß und den in Mailand zu schreiben, der ihm angetragen wird. Weil „zu dieser Sache meiner Heimat und meiner Verwandten, und was meinen Vetter anging, weil zu dieser von Natur unschuldigen und rechtmäßigen Sache soviel Falsches gesagt worden war”. Oder an anderer Stelle: „In Wirklichkeit sind Völker etwas anderes als ein Gegenstand von Meinungen…

Tumler bemüht sich sehr behutsam, mit Sachkenntnis und vorurteilsloser Einsicht, um ein Bild der Wirklichkeit. Aber immer geschieht in diesem Buch doch auch noch mehr und anderes als das, was geschieht. In der Zeit, selbst wenn von Tagesereignissen die Rede ist, wird ein Stückchen Ewigkeit transDarent.

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