Halluzinationsgeplagte Inspirationssuche

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"Dirigent Tomáˇs Netopil erwies sich als zu solide und zögerlich, um den Spannungsreichtum von Webers Romantik souverän über die Bühne zu bringen. Er forderte das Orchester zu wenig."

Ich habe keinen speziellen missionarischen Drang. Ich bringe lediglich ein Beispiel, indem ich die alte Weisheit von der Wichtigkeit der Kunst und ihren Schwierigkeiten neu durchdekliniere", gibt Regisseur Christian Räth am Ende seines Interviews über seine "Freischütz"-Regiearbeit an der Staatsoper zu Protokoll. Was er damit meint? Vermochte er mit seiner Inszenierung den eigenen Ansprüchen gerecht zu werden?

Das Ergebnis unterscheidet sich nicht von vielen anderen Neuinszenierungen der letzten Jahrzehnte. Wer versucht, sich darauf mit entsprechender Literatur - etwa Opernführern -vorzubereiten, erleidet Schiffbruch. Was dem Besucher vorgesetzt wird, hat mit dem Stück nämlich meist wenig zu tun, manchmal gar nichts. Wie eben bei Räth, der für seine exaltierten Gedankenexperimente besonders lautstark ausgepfiffen wurde. Er findet das Libretto der Oper schlecht, die Musik immerhin so interessant, dass man das Stück aufführen soll. Anstatt sich zu überlegen, mit einer neuen Textfassung oder klugen Kürzungen diesen Umstand zu ändern, belässt er den unbestritten problematischen Text, erfindet dazu eine neue Handlung -immerhin mit Max im Mittelpunkt. Für ihn kein Jägerbursch, denn dieses Ambiente hat er in seiner Inszenierung weitgehend ausgeblendet, sondern ein Komponist, der verzweifelt kämpft, um seine Inspiration wiederzuerlangen. Damit, ist Räth offensichtlich überzeugt, kommt auch die von Webers Librettisten Johann Friedrich Kind anders gemeinte diabolische Seite des Stücks nicht zu kurz, hat der männliche Widerstreit um Agathe ebenso seinen Platz.

Entsprechend wird die Bühne durch ein Klavier, zuweilen in Flammen aufgehend, dominiert. Max zeigt sich stets von Halluzinationen geplagt. Die Wolfsschlucht, als atmosphärelose Lagerhalle dargestellt (Ausstattung: Gary McCann), führt ihn in eine Ekstase, die seinen Schaffensrausch wieder wachruft. Blass bleibt in dieser mehr der Provokation verpflichteten Lesart Agathe. Sie muss sich mehrfach gegen die lesbischen Annäherungsversuche des ganz im Stil der 1920er-Jahre mit weißem Bubikopf auftretenden Ännchen wehren. Wiederholt erscheinen schwarz gewandete Figuren mit Tierköpfen. So soll es wohl in der Welt des Satans aussehen. Wenn der Eremit am Ende inmitten eines überdimensionierten Lusters vom Schnürboden heruntergelassen wird, ergibt dies ein skurriles Bild. Aber damit hat es sich schon.

Subjektives Wundertheater?

Wie sagte doch der Regisseur: Es gehe um eine Neubetrachtung der Schwierigkeiten der Kunst. Eine Feststellung, unter die sichsehr vieles subsumieren lässt. Auch, dass das Leben zuweilen zum Albtraum werden kann. Vor allem diesen Eindruck hinterlässt diese sich nicht einmal durch originelle Bildvielfalt auszeichnende Regiearbeit, die den Personen nicht jene Aufmerksamkeit widmet, dass sich von einer durchdachten Personenführung sprechen ließe. Oder ging es Räth gar nicht um den "Freischütz"? Lag sein Bestreben darin, sich von diesem Werk zu einer Art subjektivem Wundertheater anregen zu lassen, mit Weber als wirkungssicherer Hintergrundmusik? Auch musikalisch ließ dieser Premierenabend Wünsche offen. Dirigent Tomáˇs Netopil, GMD in Essen, bisher mit Opern von Mozart, Dvo´rák und Janáˇcek unterschiedlich überzeugend im Haus am Ring zu Gast, erwies sich als zu solide und zögerlich, um den Spannungsreichtum von Webers meisterlicher Romantik souverän über die Bühne zu bringen. Er schien vor dem Effekt geradezu zu kapitulieren, forderte das Orchester zu wenig, was das eine oder andere mustergültige Solo nicht vergessen lassen konnte.

Dass Adrian Eröd ein untadeliger Ottokar sein würde, war zu erwarten. Albert Dohmen (Eremit) hat seinen Zenit mittlerweile überschritten. Überfordert Alan Held als Caspar. Unerklärlich, weshalb Andreas Schager den Max so lautstark, dynamisch wenig differenziert und nur in Maßen kantabel anlegte. Am überzeugendsten Camilla Nylund als in der Höhe zuweilen tremolierende Agathe, etwas soubrettenhaft Daniela Fally als Ännchen. Nur solide die übrigen Protagonisten, unterschiedlich präzise der Chor. Eine herbe Enttäuschung.

Weitere Termine 14.6., 17.6., 20.6., jeweils 19 Uhr

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