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Abschied von Utopia?

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Noch vor ein paar Jahren wäre diese Tagung mit Sicherheit viel utopischer verlaufen. Was sie auszeichnete — so betonte einer der Vertreter —, war vor allem ein breiter Konvent hinsichtlich der Notwendigkeit eines neuen Realismus. Heute wird viel von einer Tendenzwende gesprochen, und selbst wer darin nicht eine Wiederkehr des konservativen Denkens zu erkennen vermeint, wird die neue Sachlichkeit, einen noch vor wenigen Jahren völlig undenkbaren Hang zum Realismus und Pragmatismus in Gesellschaft und Politik, schwerlich übersehen können. Gerade dieser geistige Klimawechsel hat das achte Salzburger Humanismusgespräch veranlaßt, es unter die Titelfrage „Abschied?“ zu stellen. Freilich nicht ohne den Hintergedanken, daß es sich dabei vielleicht nicht nur um eine vorübergehende Schwankung des Zeitgeistes handelt, sondern um eine Änderung der geistigen Großwetterlage, die durchaus irreversibel sein könnte.

Bereits Ende der zwanziger Jahre unseres Jahrhunderts hat der französische Philosoph Julien Benda vom Verrat der Intellektuellen gesprochen. Dabei hatte er vor allem die Vertreter der nationalistischen Rechten im Auge, denen er vorwarf, daß sie sich den politischen Leidenschaften mit all ihren negativen Begleiterscheinungen wie Engstirnigkeit, Fanatismus und anderes mehr verschrieben haben und selbst vor der Vergötzung kollektiver Mächte, wie Nation, Staat und Volk, nicht zurückschrecken.

Ging es Benda in erster Linie um die Vertreter der nationalistischen Rechten, so hat Raymond Aron Züge einer sekularisierten Idolatrie auch bei den Vertretern der intellektuellen Linken entdeckt. Auch Jean Amery sprach vom Verrat der Intellektuellen und meinte damit genau einen massiven Irrationalismus der neuen Linken, der nach außen hin rational und theoriebesessen erscheint. Der Berliner Politik-Wissenschafter Richard Löwenthal deutete den massiven Abfall der intellektuellen Jugend von den Institutionen der westlichen Parteien als Folge eines kulturellen Sinnverfalles.

Hingegen hätten sich Herbert Marcuses Hoffnungen auf die Intelligenz als neue revolutionäre Kraft und Helmut Schelskys Befürchtungen einer Priesterschaft dieser neuen Anlässe als gänzlich unrealistisch erwiesen. Schelsky warf den Intellektuellen vor, durch die Intellektuali-sierung der Welt den gemeinen Mann, statt seine Weltkenntnis zu erweitern und ihn urteilsfähig zu machen, darin zu hindern, die Welt mit jener Erfahrung zu beurteilen, die er selbst in seinem Beruf, in seiner Familie und im Umgang mit anderen. Menschen macht.

Bei so viel intellektueller Selbstkritik und vehementer Utopiedestruktion fragt man sich unwillkürlich, worin denn eigentlich der positive Auftrag der Intellektuellen, sofern es einen solchen überhaupt gibt, besteht. In Salzburg wurde des langen und breiten darüber diskutiert, ob ein Physiker wie Carl Friedrich von Weizsäcker aufhört, Physiker zu sein, sobald er beginnt, über Voraussetzung oder Folgen seines Tuns nachzudenken und daraus auch bestimmte Konsequenzen zu ziehen ...

Wie soll sich der Intellektuelle, der im naturwissenschaftlich-technischen Erkenntnisfeld wurzelt oder darauf Bezug nimmt, verhalten? Soll er der Versuchung, sich als Berater von Gesellschaft oder Politik zu empfehlen, nachgeben? Würde eine so geartete Politik-Beratung nicht letztlich an den leidigen ökonomischen Grenzen und den politischen Prioritäten scheitern, ganz abgesehen davon, daß die weltweite Öko-Krise das Ergebnis eines technisch- und naturwissenschaftlich induzierten Wuche-rurngsprozesses von globalen Ausmaßen ist? Kann sich unter den genannten Bedingungen der naturwissenschaftlich Intellektuelle einzig damit begnügen, „Wissenschaft“ zu betreiben und das Denken über die Folgen den Politikern und Managern überlassen?

Von den großen alten Männern — Werner Sperber sprach humorvoll von den „Dinosauriern des Geistes“, die geprägt durch die bitteren Erfahrungen eines jahrzehntelangen Weltbürgerkrieges froh sind, in eine halbwegs heile Welt heimgefunden zu haben — war in diesem Punkt konkrete Antwort zu erwarten. Aber auch die jüngeren — hier seien vor allem der Heidelberger Geologe Günter Altner und der Regensburger Ulrich Hommer genannt — waren in ihren Äußerungen eher zögernd und zurückhaltend. ' Genau an dieser Stelle mußte das Gespräch über den „Auftrag der Intellektuellen heute“ erst richtig beginnen, an dem sich sowohl die Vertreter der naturwissenschaftlichen und technischen Intelligenz als auch die Politiker beteiligen müssen. Die totale Abstinenz der letzteren beim 8. Salzburger Humanismusigespräch ist allerdings kein gutes Omen. GERHARD RUZS

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