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Bauen, aber wie?

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Da die Menschheit schon immer von Krisen — man könnte auch sagen von lebensbedrohenden Krankheitsstadien — begleitet wurde, können auf die Frage, ob Menschsein ohne Krisen überhaupt möglich ist, Philosophen sicher besser antworten als Architekten. Fest steht, daß wir gegenwärtig, und zwar auf allen Gebieten unseres Zusammenlebens von Krisen in einer bisher nicht bekannten Größenordnung förmlich überschwemmt werden. Ein Wunder wäre es, wenn davon die Architektur und ihre Schöpfer verschont geblieben wären.

Man könnte nun mit Hilfe der heute sehr beliebten und oft erprobten „Verdrängungstaktik" nach dieser Feststellung einfach zur Tagesordnung übergehen. Auch eine Art Zweckoptimismus - frei nach Friedell — wäre eine Hilfe: Krisen könnten ja auch so etwas sein wie eine Herausforderung, die die Möglichkeit öffnet, nach Uberwindung derselben gestärkt weiterzuleben.

Man kann aber auch versuchen, Erklärungen dafür zu finden, wieso—trotz aller unbestreitbarer Fortschritte — unsere gebaute Welt immer trostloser wird und Wege, die vielleicht in eine bessere Richtung führen, zu suchen.

Einige Tatsachen mögen kurz

die Probleme darstellen:

Tatsache ist, daß selbst schon der Begriff „Architektur" umstritten ist. Von „Alles ist Architektur" (Hollein) bis hin zum „Die Architektur ist Tod" (Gaspius) gibt es dazwischen alle nur möglichen Schattierungen.

Tatsache ist, daß Phantasie, Lebendigkeit und Maßstab in Verlust geraten sind. Einige wenige Ausnahmen, von begabten Architekten geschaffen, wirken da eher wie Alibis für ein allgemein spürbares schlechtes Gewissen.

Tatsache ist, daß Phantasie, Schönheit und Faszination zu Geschmacksfragen degradiert wurden. „De gustibus non est dispu-tandum" — damit haben schon die Römer ihr Parvenütum gegen den Hohn der Griechen verteidigt, und das ist auch heute wieder die Devise aller Geschmacklosen.

Tatsache ist, daß selbst sogenannte Gebildete in der Regel nicht einmal eine falsche, sondern gar keine Meinung über Qualität besitzen, auch nicht über Qualität in der Architektur.

Tatsache ist, daß heute nur mehr nach meßbaren Kriterien geurteilt wird. Zweckmäßigkeit, Funktion, Wirtschaftlichkeit,

Praktikabilität, Flexibilität, Wärmedurchflußkurven, Nutzungsfaktoren - und so fort. Nicht Meßbares und Erklärbares ist ganz einfach nicht existent,

Tatsache ist, daß falsch verstandene Freiheit des einzelnen dazu führt, daß Vielfalt durch Chaos ersetzt wird.

Tatsache ist, daß auch in der Architektur beinahe alles machbar ist, daß Konventionen jede Verbindlichkeit verloren haben und daß auf der Suche nach Identität mehr oder weniger begabte einzelne in alle möglichen - meist abwegigen — Richtungen ausschwärmen mit der Meinung, daß jede Sensation die Mittel rechtfertige.

Tatsache ist, daß die Kluft zwischen Verstand und Geist seit Verlust der Homerischen Welt immer größer wird und durch die so entstehende Isolierung immer mehr Einsamkeit entstehen läßt.

Tatsache ist schließlich auch, daß der verhängnisvolle Hang zum „Machen des Machbaren" — diese „Weiße-Kittel-Mentalität", die auch im Bereich der Nukleartechnik, Waffentechnik und Genmanipulation besonders deutlich sichtbar wird - auf Architektur

übertragen und in maßlose Dimensionen umgesetzt eine eklatante Grenzüberschreitung bedeutet.

Schuldfragen zu stellen, erscheint zwecklos. Der „Schwarze Peter" landet mit Sicherheit bei der Gesellschaft als Globalschuldigem. Die menschliche Natur ist eben wie ein Fluß, der ständig seine Ufer übertreten will und auch übertritt. Da kann man halt nichts machen, sagen die meisten. Fortschritt ist eben Fortschritt. Einige wenige meinen dennoch, man könnte mit Verstand, Weisheit und Demut gegen Ausuferung einen Damm bauen. Sie meinen auch, man müßte etwas finden, das Sensation durch Phantasie ersetzt: das wichtigste Element für das Gedeihen der Architektur. Dazu würden wir — meinen sie — auch noch so etwas wie eine säkularisierte Mythologie brauchen. Es müßte etwas sein, was Wärme gibt, aufladet, bewegt, loslöst von dem Wahnsinnsanspruch, daß der Mensch allein das Maß aller Dinge sei. Es müßte etwas sein, das uns Zeichen, Umriß und Glauben vermittelt, und Antwort gibt auf die Frage, warum wir überhaupt da sind.

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