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Das Höllenkarussell

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Die Regierung Palme hat sich in eine Situation hineinmanövriert, aus der man keinen anderen Ausweg mehr sehen kann als die Auflösung des Parlamentes und die Durchführung von Neuwahlen. Dieser Entwicklung stehen heute eigentlich nur zwei Hindernisse entgegen: Die innerhalb der schwedischen Parteien seit jeher tief verwurzelte Abneigung gegen außerordentliche Neuwahlen und die für Wahlen sehr ungünstige Jahreszeit.

Auf der anderen Seite weiß die Regierung Palme, angesichts des Trümmerhaufens ihrer Lohn- und Preispolitik, nicht mehr aus und ein, und viele Beobachter meinen, daß ihr gar nichts mehr anderes übrig bleibt als ein Appell an die Wählerschaft.

Das alles andere überschattende Problem ist natürlich jenes der Preissteigerungen. Soweit diese auf internationale Ursachen — darunter in erster Linie auf die Behandlung des Valutaproblems durch die Regierung der Vereinigten Staaten und die Überschwemmung der Welt mit un-konvertibel gewordenen Dollars — zurückgeführt werden kann, vermögen sich die Regierungen der anderen Länder natürlich von der Schuld freizuschwören. In Schweden kam jedoch noch eine „hausgemachte“ Teuerung dazu, die sich für breite Schichten der Bevölkerung zu einer schier unerträglich gewordenen Last auswuchs. Und zu den „normalen“ Preiserhöhungen kamen noch die Erhöhungen der Verbrau-chersteuem, der Kommunalsteuern und zahlreicher Abgaben. Es ist begreiflich, wenn es unter solchen Umständen im Vorjahr zum erstenmal zu einer Verminderung des privaten Verbrauches kam — trotz aller Lohnerhöhungen!

Alle Proteste gegen diese Politik blieben wirkungslos: die Unterschriftensammlungen, die straßen-

Regierungschef Palme: Auch die KP zum Sturz bereit

Photo: Votava demonstrationen, der Boykott bestimmter Waren und die Proteste der Opposition im Parlament. Auch die Warnungen einiger einsichtsvoller Gewerkschaftsführer blieben unbeachtet. Ein sehr unglückliches Ubereinkommen mit der Landwirtschaft garantiert dieser in immer kürzeren Abständen stattfindende Erhöhungen der Preise landwirtschaftlicher Produkte, unter dem Vorwand des Angleichens an die Einkommen in der Industrie, was wiederum zu Kompensationsforderungen der Arbeiter führt und zu neuen Kompensationsforderungen der Landwirte — es ist ein höllisches Karussell!

In dieser Situation der maßlos überhöhten Lebensmittelpreise legte die Regierung am 20. April den Entwurf zu einer Steuerreform vor, die von der großen Mehrheit der Bevölkerung nur als ein Schlag ins Gesicht empfunden werden mußte. Die Verbrauchersteuern sollten noch einmal, nun von 17,6 auf 20 Prozent, erhöht werden. Stark erhöhen sollten sich auch die Preise für Wein, Spirituosen, Zigaretten und Treibstoffe. Die Mittel aus dieser Steuererhöhung wollte die Regierung zur Verminderung der direkten Steuern benützen.

Gegen diesen Vorschlag sprachen sich alle Parteien der Opposition aus, weil der Entwurf so unsozial erschien, daß Ihm keine Partei zustimmen konnte.

Als dann auch noch die Kommunisten erklärten, daß sie in diesem Fall gegen die Regierung und damit für ihren Sturz stimmen würden, war die Regierung in der Sackgasse angelangt. Ihr bleibt nun nur noch die Wahl, ihren Vorschlag zurückzuziehen und sich damit dem Willen der Opposition unterzuordnen, oder die Auflösung des Parlamentes und Neuwahlen zu verlangen.

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