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Das süße Gift

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Unbehagen ist noch der gelindeste Ausdruck für das psychologische Klima, das an dieser Jahreswende weithin in der Weltwirtschaft herrscht. Das hat es in dieser Form seit 1945 nicht gegeben, denn erstmals ist jetzt eine schwer artikulierbare, aher tiefgreifende Sorge über die weitere Entwicklung der internationalen Wirtschaft, des Güter- und Leistungsaustausches, ja auch der Vollbeschäftigung zu registrieren. Das gilt für die internen Zirkel der Politik ebenso wie für die Entscheiduhgszentren der Industrie- und Finanzwelt. Nicht umsonst hat der bekannte deutsche Wirtschaftspublizist Walter Wannenmacher eine sehr geistvoll-originelle, wenngleich nicht unumstrittene Studie dem Thema der „Stagflation“, also des Zusammenfallens einer inflationistischen Entwicklung mit wirtschaftlicher Stagnation, gewidmet. Ein Buch jedenfalls, das sehr zum Nachdenken anregt und in geradezu provokatorischer Weise gegen den rosaroten, oberflächlichen Optimismus Stellung nimmt, wie er die „moral persuasion“ der Offiziellen der Wirtschaftspolitik zu beherrschen pflegt.

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Unbehagen ist noch der gelindeste Ausdruck für das psychologische Klima, das an dieser Jahreswende weithin in der Weltwirtschaft herrscht. Das hat es in dieser Form seit 1945 nicht gegeben, denn erstmals ist jetzt eine schwer artikulierbare, aher tiefgreifende Sorge über die weitere Entwicklung der internationalen Wirtschaft, des Güter- und Leistungsaustausches, ja auch der Vollbeschäftigung zu registrieren. Das gilt für die internen Zirkel der Politik ebenso wie für die Entscheiduhgszentren der Industrie- und Finanzwelt. Nicht umsonst hat der bekannte deutsche Wirtschaftspublizist Walter Wannenmacher eine sehr geistvoll-originelle, wenngleich nicht unumstrittene Studie dem Thema der „Stagflation“, also des Zusammenfallens einer inflationistischen Entwicklung mit wirtschaftlicher Stagnation, gewidmet. Ein Buch jedenfalls, das sehr zum Nachdenken anregt und in geradezu provokatorischer Weise gegen den rosaroten, oberflächlichen Optimismus Stellung nimmt, wie er die „moral persuasion“ der Offiziellen der Wirtschaftspolitik zu beherrschen pflegt.

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Währungskrise und -Unsicherheit sind nur ein, wenn auch sehr wesentlicher, Bestimmungsfaktor dieser Klimaveränderung in der Weltwirtschaft. Denn längst hat sich die Überzeugung, daß es mit einer Neuordnung der Paritäten nicht getan sein kann, verbreitet, hängen doch viele andere Probleme mit den Währungsfragen zusammen, insbesondere das eine, große: Ist für die Entwicklung des internationalen Handels, unbehindert von Einschränkungen, zu fürchten, droht ein neuer Protektionismus, da schlechte Beispiele Schule zu machen pflegen? Währungspolitik ist Weltpolitiilk, ist

Machtpolitik geworden, auch das sollte man nicht übersehen.

Zu diesem Bestimmungsgrund des allgemeinen Unbehagens treten andere: die Konjukturabflachung in wichtigen Industriestaaten, die da und dort in eine ausgewachsene Rezession einzumünden droht, hohe Anbeitslosenzaihlen in mehreren Industrieländern, eine politisch indizierte Verschlechterung der wirtschaftlichen Umweltbedingungen (markantes Beispiel hiefür die Bundesrepublik Deutschland, aber auch Italien und Schweden). Das alles gilt es zu berücksichtigen. Aber damit ist nicht der eigentliche Grund der

Sorge umrissen. Es ist das Welt-problem Inflation. Erst vor kurzem bemerkte die „Neue Zürcher Zeitung“, das weltweit virulente Inflationsproblem sei als eine der zentralen Stellen der gegenwärtig sichtbaren wirtschaftlichen Schwierigkeiten erkannt worden.

Inflationen kommen nicht von ungefähr. Die Inflation in unserer Zeit ist nicht die Folgeerscheinung „höherer Gewalt“, wie etwa die nach dem Zusammenbruch des politischen und wirtschaftlichen Systems im Jahr 1918. Ihre Wurzel ist eindeutig zu erkennen. Es ist die sich ständig ausweitende Schere zwischen Einkommenserwartungen und Ein-kommenserhöhungen auf der einen und dem Wirtschaftswachstum auf der anderen Seite.

Sie ist damit nicht nur ein ökonomisches, sondern in erster Linie ein politisches Phänomen. In einem Buch über Inflationsprobleme schreibt der deutsche Wirtschaftswissenschaftler Professor Günter SchmöLders den markanten Satz: „Die Inflation ist nicht nur ein Stück Politik, sie ist geradezu die Qittung für schlechte Politik.“ Das Gefährliche daran ist, daß sich die Menschen an sie gewöhnen, und zwar offensichtlich gerne gewöhnen, sie erliegen einem „süßen Gift“, ein Faktum, das den deutschen Wirtschafts- und Finanzminister Professor Schiller einmal zu dem Ausspruch veranlaßte, Inflation sei wie eine Droge: für kurze Zeit mache sie unsere Gesellschaft, um das Vokabular der Süchtigen zu benützen, „high“. In dem bereits erwähnten Buch über die Inflationsproblematik schreibt dessen Autor Arvid Fredborg, daß leider nur wenige unserer Zeitgenossen die Bedeutung einer stabilen Währung erkennen. „Wir werden den Totalita-rismus daher möglicherweise in den letzten Dezennien unseres Jahrhunderts noch am eigenen Leib verspüren. Inflation ist eine Gefahr.“

Mag man einwenden. derlei Diagnosen gäbe es schon in Menge, sie hätten bisher noch nicht zu einer wirksamen Therapie geführt. Aber es scheint doch, als setze sich die Erkenntnis von der Inflation als dem wirtschaftpolitischen Zentralproblem immer weiter durch. Ebenso wie das Verständnis dafür, daß Operationen an den Währungsparitäten ein ungeeignetes Mittel zur Inflationsbekämpfung gleich wie zur Konjunktursteuerung sind. Auch dies nämlich hat man in den letzten Jahren gelernt, und mancher forsche Wirtschaftspolitiker und Wirtschaftspublizist, der jene, die den Gedanken der Untauglichkeit der Währungspolitik für die Konjunktur- und Stabilitätspolitik vertreten, als altmodisch abzutun versucht, hatte, ist mittlerweile ernüchtert.

Es ist auf jeden Fall ein großer Fortschritt, wenn die Gefahren einer anhaltenden unbehinderten Infla-tionsentwicklung von immer mehr Menschen an den Schalthebeln des Geschehens erkannt werden. Denn ganz neue Probleme würden für alle wirtschaftlichen Entscheidungsinstanzen entstehen, wollte man sich an jährliche Geldentwertungsraten von, sagen wir, fünf, sechs, vielleicht

(Fortsetzung auf Seite 2)

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