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Digital In Arbeit

Das Vaterland kommt in Gefahr

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Am Anfang standen dubiose Vorgänge rund um die Finanzierung einer Villa. Mittlerweile geht es um mehr: Man rüttelt an den Wurzeln des Staates, wenn aus politischen Gründen grundlegende Bürgerrechte verletzt werden.

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Am Anfang standen dubiose Vorgänge rund um die Finanzierung einer Villa. Mittlerweile geht es um mehr: Man rüttelt an den Wurzeln des Staates, wenn aus politischen Gründen grundlegende Bürgerrechte verletzt werden.

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Dem gewöhnlich sterblichen Staatsbürger greift es nicht sonderlich an Herz und Hirn, ob ein durch einen politischen Vater-Sohn-Konflikt für die Medien anscheinend unsterblicher, außergewöhnlicher Mitbürger bei der Finanzierung seines Hauses Recht oder Unrecht gegenüber Vater Staat begangen hat. Höchstens denkt er sich: Das mögen sich die Hausherrn von "Neustift am Walde und Mallorca untereinander ausmachen.

Eher verspürt er zumindest den Anflug einer Beklemmung in der Herzgegend und einige Beunruhi-

gung im Hirn—sofern er dieses „in politicis" mehr als üblich strapaziert —, wenn ihm via Medien Fakten bekannt werden, die den Rahmen einer Steueraffäre und eines auf den Kopf gestellten Ödipuskomplexes bei weitem sprengen. Hier diese Fakten:

Da betreiben profilneurotische Journalisten eine Menschenjagd und durchschnüffeln zu diesem Zweck die Lebensverhältnisse eines verstorbenen Nervenarztes nach dessen Rückkehr von der Emigration. Seine Tapeten und sein Durchlauferhitzer werden perlustriert, Tische und Sessel registriert, Teppiche und Bilder taxiert, als gelte es, den Schnee vom vergangenen Jahr allen Lesern solchen Kiebererjournalismus zur Ersteigerung anzubieten.

Da werden politische Trapezakte auf Tonbändern vollführt, bei deren Beschaffung sich sicher einige Herrschaften die Hände

schmutzig gemacht haben, daß es sich gewaschen hat.

Da werden von einem hohen Regierungsmitglied wahrscheinlich auf Wunsch eines noch höheren Ruheständlers, der es nicht lassen kann, seine Finger immer wieder im Spiel zu haben, wenn es darum geht, der Symbolfigur seiner Enttäuschungen eins am Zeug zu flicken, Anzeigen von Bankangestellten höchstselbst dem Staatsanwalt weitergereicht, als gäbe es kein Bankgeheimnis, sondern nur einen Parteiauftrag.

Da erklärt der Obmann der großen Regierungspartei, daß ein bestimmtes Parteimitglied nicht in die Politik zurückkehren werde oder dürfe, obwohl er wissen müßte, daß darüber gewählte Gremien und nicht auserwählte Cliquen und in letzter Instanz die Wähler zu entscheiden haben.

Da wormt es einen, daß er als Journalist von eigener Courage mehr Aufsehen erregte denn als aus dem Hut gezogener Mandatar, weshalb er sein Mandat jederzeit wieder für einen spektakulären Prozeß dem Wähler zurückzuschmeißen bereit ist.

Und da „wundert" sich ein Regierungschef, der weder Chef ist noch regiert, daß in einem Verfahren „fünf nach zwölf" plötzlich belastende Informationen auftauchen, als ob es nicht schon fünf

vor zwölf zu spät gewesen wäre, nachdem man einen Fall, der viel zum Verfall der eigenen Macht beitrug, jahrelang auf die lange Bank schob, weil es an Mut zum kurzen Prozeß fehlte.

All das und was noch kommen wird, ist ausschließlich im Lichte des „Recht oder Unrecht — mein Vaterland" zu sehen. Denn das Vaterland kommt in Gefahr, wenn Bürgerrechte aus persönlichen und parteipolitischen Gründen gefährdet werden. Und Bürgerrechte stehen auf dem Spiel, die nicht verspielt werden dürfen:

Das Recht eines jeden Bürgers auf Schutz vor Menschenjagd und Schutz seiner Privatsphäre. Sein Recht auf Wahrung des Telefon-und Autotelefongeheimnisses. Sein Recht auf das Bankgeheimnis. Sein Recht, in der Politik tätig sein zu können. Sein Recht auf die Treue seiner Mandatare und — nicht zuletzt — sein Recht auf einen Regierungschef, der Chef sein und regieren kann, anstatt sich bloß zu wundern und auf Wunder zu warten.

Wenn alle diese Rechte nicht uneingeschränkt gewahrt bleiben, könnten wir alle eines Tages unsere blauen Wunder erleben — und nicht nur (möglicherweise) der rote Hannes.

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