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Der Skandal wurde zur Gewohnheit

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Vom amerikanischen Nachrichtenmagazin „Time“ aus hat die Gepflogenheit auf Magazine und Gazetten allerorten übergegriffen: Man wählt den „Mann des Jahres“. Wollte man den Mann eruieren, der in Österreich die politische Entwicklung 1978 am stärksten beeinflußt hat, müßte die Antwort wohl Hannes Androsch heißen.

Androsch hat die SPÖ-Kader verunsichert, seine Partei Stimmen in Wien und in Großbetrieben gekostet, Kreisky außer Tritt gebracht und wahrscheinlich auch zur Bacher-Wahl im ORF geführt.

Aber nicht von der Person Androsch soll hier dieRede sein, sondern vom Phänomen Androsch: dem Phänomen, daß der Spitzenvertreter einer Partei, die einst zur Errettung des Proletariats aus den Krallen des Kapitalismus ausgezogen ist, aus Politik und kapitalistischem Privatunternehmen Profite schlägt, die dann ganz logisch in dem fragwürdigen Stoßseufzer münden, er sei „leider kein Millionär“.

Wer jetzt auf eine Androsch-Be-schimpfung spekuliert, der irrt. Die Androschs sind zahlreich und überall: in SPÖ, ÖVP und FPÖ, in Industrie- und Gewerkschaftskreisen.

Allerlei Arbeiterfunktionäre bauen sich protzige Villen in Nobelvierteln. Manche Unternehmer, die zur Mehrung des von ihren Vorfahren in harter Arbeit erwirtschafteten Vermögens wenig durch Eigenleistung beigetragen haben, führen ein provokantes Luxusleben.

Manche Ärzte scheffeln Millionen, ohne einen Deut mehr zu leisten als ihre Kollegen, die sich mit einem Bruchteil zufriedengeben. Manche Universitätsprofessoren prostituieren sich mit scharlatanesken Gutachten, die selbst bloßen Zuschauern die Schamröte ins Gesicht treiben.

Manche öffentlichen Amtsträger kassieren Tausende Tausender für Aufsichtsratsfunktionen in Wirt-schaftsbetrieben, von denen sie einen Schmarren verstehen. Einige Sportler werden mit Millionen zugedeckt, von denen Millionen Rentner leben könnten.

Das ist ein Skandal, an den wir uns alle schon gewöhnt haben, was ihn nur um so größer macht. Denn wenn auch unbestritten ist, daß die gegenwärtige Wirtschaftsordnung für unsere Zeit und unsere Verhältnisse die relativ gerechteste ist, sollte doch ebenso unbestritten sein, daß sie auch Einkommen gebiert, die mit Leistung nichts mehr zu tun haben, und einer gar nicht mehr so schmalen Oberschicht Lebensformen ermöglicht, die die Masse der Mitbürger nur als Illustriertenleser nachträumen kann.

Und wenn dann einer eine drakonische Spitzensteuer für Höchstverdiener fordert, dann schreien auch vermeintliche Zöglinge der katholischen Soziallehre „Pfui, ungerecht!“ statt „Leider wirkungslos!“ (weil eben Spitzensteuersätze nichts an ihrer Umgehung durch Spesenkonten und „Aufwandsentschädigungen“ ändern würden).

Und wenn der Kardinal zu Weihnachten vom einfachen Leben predigt, nicken die schwarzen und roten und farblosen Prasser in eilfertiger Betulichkeit. Schon zu Silvester haben sie weitergepraßt, während 13 Millionen Heimatlose durch die Berge, Wüsten und Meere der Erde sich schleppten. Prosit Neujahr!

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