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Wettweinen um den armen Hannes
Irgendwie muß man sich die letzten zehn Jahre hindurch verhört und verlesen haben, wenn man glaubte, Österreichs Wirtschaft bei der Klage über Androschs Finanzpolitik zu erleben.
Wie sonst wäre zu erklären, daß derzeit sogenannte bürgerliche Prominenz von Alpbach über den Wiener Schwarzenbergplatz bis hin zu Ex-Rechnungshofpräsident Kandutsch am politischen Grabe des Finanzministers steht und weint?
„Österreich hat wirklich schon viel schlechtere Finanzminister gehabt", liest man in einer Zeitung, die noch vor nicht langer Zeit zu den unbarmherzigsten Kritikern Androschs gehört hat. „Und tüchtig ist Androsch," steht in einer anderen, obwohl im selben Blatt am selben Tag 22 Seiten weiter behauptet wird, daß sein Nachfolger „ein Himmelfahrtskommando" übernehme, so „gigantisch" seien die Probleme.
Wie war er also wirklich, der Hannes Androsch: die größte Katastrophe der Zweiten Republik, mit Ausnahme aller seiner Vorgänger?
Der Versuch einer einigermaßen ausgewogenen Bilanzziehung (siehe „Zehn Jahre Androsch" auf dieser Seite) ergibt naturgemäß Gut- und Schlechtpunkte. Äußerliche Daten seiner Amtszeit brachten Österreich international gute Noten ein: relativ niedrige Arbeitslosen- und Inflationsraten, relativ gutes Wirtschaftswachstum.
Aber der Preis, den wir dafür bezahlt haben, ist im nachhinein genau so zu verurteilen wie in den vergangenen Jahren, da Androschs heutige Klageweiber ihn noch mächtig kritisierten: Verfünffachung der Staatsschuld, was bedeutet, daß wir auf Kosten künftiger Generationen gelebt haben.
Die Schweiz hat zwischen 1970 und 1979 einen Leistungsbilanzüberschuß von 311 Dollar pro Kopf der Bevölkerung erwirtschaftet - wir haben im selben Zeitraum ein Defizit von 127 Dollar pro Österreicher zustandegebracht.
Die notwendige Strukturreform der österreichischen Wirtschaft ist von einem Finanzminister, der im Auftrag seiner politischen Hausmachtgeber zeitweise künstlich hohe Beschäftigungszahlen mit öffentlichen Mitteln und durch Heimsendung ausländischer Gastarbeiter finanzierte, bei weitem nicht.im erforderlichen Ausmaß gefördert worden.
Den Lebensstil, den Hannes Androsch persönlich liebte, hat er auf ganz Österreich übertragen. Ist es ein Zufall, daß der Schwiegervater des Finanzministers dieser Tage Selbstanzeige erstattete, weil ihm in später Stunde plötzlich auch Bedenken gekommen sind, wie er 180.000 Schilling im Monat für Kreditrückzahlungen aufbringen soll?
Wird die Regierung Kreisky nunmehr Selbstanzeige wegen der Verschuldung Österreichs erstatten?
Man darf vermuten: Manche „Bürgerliche" weinen um Androsch, weil ihnen ein Mann mit seinem Lebensstil die sicherste Garantie dafür erschien, daß auch der ihre letztlich nicht gefährdet war. Deshalb kann man bei einigen derselben Herren nun auch basses Staunen über Mocks Rückgabe der dubiosen Zehn-Millionen-Spende erleben.
„Schön blöd", sagen sie. Die große Mehrzahl der Redlichen unter Österreichs Beamten, Arbeitern, Angestellten, Unternehmern und Pensionisten denkt da gewiß ein bißchen anders.
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