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Der Streit der roten Brüder
Europas sozialdemokratische Regierungen sind dabei, sich von der Umklammerung durch die Gewerkschaften zu befreien. Die Wirtschaftskrise kommt ihnen dabei zu Hilfe. Wo die Arbeitnehmerorganisationen noch wie anno dazumal mit zweistelligen Lohnforderungen aufwarten, können die Regierungen beweisen, daß sie für das Staatswohl auch bereit sind, sich mit den „Gewerkschaftsbrüdern“ anzulegen.
Europas sozialdemokratische Regierungen sind dabei, sich von der Umklammerung durch die Gewerkschaften zu befreien. Die Wirtschaftskrise kommt ihnen dabei zu Hilfe. Wo die Arbeitnehmerorganisationen noch wie anno dazumal mit zweistelligen Lohnforderungen aufwarten, können die Regierungen beweisen, daß sie für das Staatswohl auch bereit sind, sich mit den „Gewerkschaftsbrüdern“ anzulegen.
Jarries Callaghan erlebte auf dem Labour-Part.eitag in Blackpool den ijjAufstand der Gewerkschaft: mehr als vier Millionen Stimmen gegen die Lohnzuwachsbeschränkung von fünf Prozent; keine zwei Millionen dafür. Am nächsten Tag verkündete er das Regierungsprogramm: die 5-Prozent-Grenze bleibt.
Dänemarks Anker Jörgensen fuhr am Vormittag des letzten Tages der Regierungsverhandlungen außer Programm zu Gewerkschaftsführer Thomas Nielsen, um dessen Zustimmung zur geplanten Koalitionsregierung mit den Rechtsliberalen zu gewinnen. Nielsen riet dem Ministerpräsidenten energisch, die Ver-
handlungen abzubrechen und ohne bürgerliche Hilfe weiterzuregieren. Am Abend desselben Tages gab Anker Jörgensen die Bildung der sozialdemokratisch-liberalen Koalition bekannt.
Norwegens Odvar Nordli verhängte über Norwegen den wirtschaftlichen „Ausnahmezustand“ (so nannte es die konservative Tageszeitung „Aftenposten“). Er erließ einen Lohn- und Preisstopp und setzte Maßnahmen, die den Lebensstandard auf das Niveau von 1975 zurückschrauben sollen. Die Gewerkschaft informierte er von diesen Plänen erst, als die Gewerkschaftsführer sie schon in der Tagespresse gelesen hatten.
Es paßt in das Bild, daß Deutschlands Gewerkschaftsboß Heinz Oskar Vetter als Chef der europäischen Gewerkschafter vor dem Kopenhagener EG-Gipfel im Frühling den Regierungschefs der Neun eine Resolution überreichte, in der der Europäische Gewerkschaftsbund eine Festlegung auf ein Wirtschaftswachstum von fünf Prozent forderte, und der deutsche Kanzler Helmut Schmidt tags darauf die Vorstellung, man könne das Wirtschaftswachstum auf eine bestimmte Größe fixieren, ohne Umschweife als lächerlich bezeichnete. - Es paßt auch in das Bild, daß Finnlands Regierung unter dem Sozialdemokraten Kalevi Sorsa trotz Gewerkschaftswiderstand zumindest vorübergehend mit einer rigorosen Kreditpolitik die Staatsverschuldung bekämpfte.
Das Auftreten als verantwortungsbewußte Staatsmänner hat den sozialdemokratischen Regierungschefs Ansehen auch im Lager des politischen Gegners eingebracht. Callaghan, Schmidt oder Jörgensen genießen bis weit ins bürgerliche Lager hinein Wertschätzung. Anderseits verlieren sie Anhänger am linken Flügel. Die gemäßigte Wirtschaftspolitik der Sozialdemokraten bringt ganz automatisch Stimmengewinne für Kommunisten und Linkssozialisten, wo diese in der Arbeiterbewegung Rückhalt besitzen.
Wo die linke Alternative fehlt, wie in der BRD oder Großbritannien, verstärkt sich die innerparteiliche Auseinandersetzung. Wer in ihr schließlich die Oberhand behält, das wird in erster Linie von den Wahlresultaten abhängen.
Eine Trennung, keine Scheidung
Die Gewerkschaften, die in vielen Ländern ihr Mitspracherecht bei der Festlegung des Wirtschaftsprogramms schwinden sehen, müssen wohl erst das Grollstadium überwinden, um die Chancen zu erkennen, die für sie entstehen, wenn sich ihre Wege und die der sozialdemokratischen Partei einmal trennen. Die Gewerkschaften können ihren Ruf als freie Arbeitnehmervertreter zurückgewinnen und den befreundeten Regierungen gegenüber ebenso unabhängig auftreten wie gegenüber konservativen.
Daß aus der Trennung keine Scheidung wird, dafür ist ohnedies gesorgt. Vertrauensleute der Gewerkschaften sitzen nach wie vor in jeder sozialdemokratischen Regierung. Und die Gewerkschaften haben nicht übersehen, daß ihnen die sozialdemokratischen Regierungen auch dann noch am nächsten stehen, wenn sie mit deren Programm nicht, einverstanden sind.
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