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Die Demolierungsmentalität

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Österreichs Sozialisten haben immer ein offenes Ohr für neue Initiativen aus Bonn, die sie möglichst schnell auch im eigenen Land zu realisieren trachten. Gegenüber den neuen Tendenzen in der Wohnbaupolitik stellen sie sich aber derzeit offenbar taub. Merkwürdigerweise hat auch die gesamte österreichische Publizistik noch nicht bemerkt, welch radikaler Umdenkprozeß am Rhein heute einsetzt, der zu Resultaten führt, die der Praxis hierzulande diametral entgegengesetzt sind.

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Österreichs Sozialisten haben immer ein offenes Ohr für neue Initiativen aus Bonn, die sie möglichst schnell auch im eigenen Land zu realisieren trachten. Gegenüber den neuen Tendenzen in der Wohnbaupolitik stellen sie sich aber derzeit offenbar taub. Merkwürdigerweise hat auch die gesamte österreichische Publizistik noch nicht bemerkt, welch radikaler Umdenkprozeß am Rhein heute einsetzt, der zu Resultaten führt, die der Praxis hierzulande diametral entgegengesetzt sind.

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Schon seit längerem hat Städtebauminister Vogel Andeutungen über seine Intentionen gemacht, die sich während der Überhitzung der deutschen Bauwirtschaft im letzten Jahr stärker konkretisierten. Bei den 12. Königsteiner Gesprächen des Bonner Instituts für Städtebau, Wohmungswirtschaft und Bausparwesen präzisierte er nun vor kurzem sein Konzept und wiederholte seither immer wieder seine Thesen.

Vogel fordert eine Senkung der überhöhten Wohnbauzahl von 660.000 Einheiten im Jahr 1972 auf höchstens 500.000 pro Jahr. Seiner Ansicht nach ist bei einer Baubremse in diesem Ausmaß keine „Übersteuerung“ zu befürchten. Die bislang eingetretenen Konkurse in der Bauwirtschaft hätten in erster Linie solche Bauträger betroffen, die „zu riskant finanziert“ haben.

Den unverändert hohen Bedarf an Wohnungen möchte Vogel durch eine verstärkte Modernisierung von Altbauwohnungen gedeckt sehen. Er dementierte dabei ausdrücklich die auch in Österreich immer wieder aufgestellte Behauptung, daß die Altbausanierung zu teuer käme. Der finanzielle Aufwand dafür sei seiner Ansicht nach geringer als der für Neubauten. Wenn auch die bisherigen Mieten im Fall der Modernisierung angehoben werden müßten, würden sie in den meisten Fällen noch immer um einiges unter denen für neue Sozialwohnungen bleiben.

Darüber hinaus sei die Althaussanierung auch für eine vernünftige Stadtplanung unerläßlich. Sie wirke der Umwandlung innenstadtnaher Wohnviertel in Büroviertel entgegen und erschwere die Vertreibung der alteingesessenen Bevölkerung.

Hingegen lehnt es Vogel ab, durch nachherige Umwandlung von zu teuren, frei finanzierten Neubauten in Sozialwohnungen „Spekulanten aus der Patsche zu helfen und Phantasiemieten auf tragbare Höhe her-unterzusubventionieren“. Für die Altbausanierung sollen hingegen beträchtliche staatliche Mittel zur Verfügung gestellt werden, mit denen 280.000 bis 300.000 Wohnungen pro Jahr modernisiert werden sollen.

Auch der Ansicht, daß eine solche „Umrüstung“ in der Wohnbaufinanzierung nur in Zeiten der Hochkonjunktur aktuell sei, tritt Vogel entgegen: Im Gegenteil, bei einem Rückgang der Konjunktur und einem Bedarf an Arbeitsplätzen sei die Verlagerung des Auffcragsstandes in Richtung des arbeitsintensiven Ausbaugewerbes durchaus konjunkturgerecht. Gleichzeitig könne mit relativ geringen Mitteln eine unter den gegebenen Umständen maximale Anzahl von Qualitätswohnungen geschaffen werden.

Dem wäre noch hinzuzufügen, daß gerade in unserer energie- und rohstoffinduzierten Konjunkturab-schwächung die Althaussanierung die ideale Kombination von Arbeitsplatzsicherung und Materialersparnis herbeiführen könnte. Denn auch das Demolieren von Althäusern um jeden Preis und deren Ersatz durch womöglich schnell verschleißende Neubauten ist eine für unsere Wegwerfgesellschaft typische Fehlleistung.

Sicherlich werden bei gewissen Kreisen der deutschen Sozialisten Vogels Pläne auf Widerstand stoßen. Sie dürften deshalb geradezu zu einem innerparteilichen Test für die Stärke der pragmatischen Sozialdemokraten gegenüber den dogmatischen Sozialisten werden.

Jedenfalls hat nun in Deutschland ein sozialdemokratischer Minister erkannt, daß das Dogma der Befriedigung der steigenden Wohnbedürfnisse ausschließlich durch den Neubau falsch ist, daß es bloß zu Kon-junkturüberhitzung, Inflation, Verschwendung von Steuermitteln sowie zu urbaner Fehlentwicklung sowohl in verkehrstechnischer und infrastruktureller Hinsicht als auch in bezug auf die Stadtbildgestaltung führt, weshalb der Althaussanierung, wo immer sie nur technisch möglich ist, der Vorzug gegeben werden sollte.

In Österreich sind wir wohl noch weit entfernt von 'dieser Erkenntnis. Die Reformpläne der Regierung gehen sogar nach wie vor in die diametral entgegengesetzte Richtung, sie sind unverändert auf die obsolete Totalerneuerung der Stadt hin orientiert.

Dies gut vor allem, für das Assa-nierungs- und Bodenbeschaffungs-gesetz, dessen Zweck es ist — wie Bürgermeister Gratz nicht müde wird, zu betonen —, die „Sanierung abgewohnter Stadtviertel“ herbeizuführen, also mit anderen Worten: niederzureißen und neu aufzubauen, statt die vorhandene Bausubstanz möglichst zu wahren. Es gilt aber auch für das Mietrechtsänderungs-gesetz, dessen einziger konkreter Erfolg — allen konträren Beteuerungen zum Trotz —, den privaten Hausbesitz weiter zu entwerten, den schon jetzt in Gang befindlichen Prozeß seines Überganges in die Hände der professionellen Demolierer — sowohl der privaten als auch der genossenschaftlichen und kommunalen — zu beschleunigen.

Desgleichen bezweckt Bundeskanzler Kreiskys Plan einer Spezial-beihilfe für junge Ehepaare nur jenes von Vogel strikt abgelehnte Heruntersubventionieren von zu teuren Neubauten auf ein erträgliches Maß mit Hilfe von Steuermitteln, wodurch diese nunmehr doppelt — für eine in dem Ausmaß und in dieser Form überflüssige Wohnbauaktivität und für eine nachherige Verbilligung der so geschaffenen Neuwohnungen — vergeudet werden sollen.

Auch zahlreiche Gesetze und gesetzliche Bestimmungen, die schon in Kraft sind — von der Mehrwertsteuersonderregelung für Althausmieten bis zum Wiener Garagengesetz — zeigen deutlach, wie sehr die Demolierermentalität noch immer bei den österreichischen Sozialisten grassiert. Österreich, das von der Bausubstanz her bessere Chan-cen als die meisten anderen europäischen Staaten für die Lösung seiner Wohnungsprobleme hätte, manövriert sich aus dogmatischer Sturheit immer stärker in die Sackgasse.

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