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Die Großbaustelle Europa
Die europäische Einigung wird nur gelingen, wenn der österreichischen Bevölkerung neben dem wachsenden Europabewußtsein auch genügend Raum bleibt für die Identität und Intimität einer überschaubaren Heimat.
Die europäische Einigung wird nur gelingen, wenn der österreichischen Bevölkerung neben dem wachsenden Europabewußtsein auch genügend Raum bleibt für die Identität und Intimität einer überschaubaren Heimat.
Die Architekten eines künftigen Europas wissen längst, daß sie auf der Großbaustelle dieses Kontinents nur dann ein lebenswertes Zuhause errichten können, wenn unter dem Dach der EG künftig auch für die Länder und Regionen eigene Wohnungen bereitstehen. Ich selbst sehe in einer solchen Balance zwischen Integration und regionaler Vielfalt auch einen ganz wichtigen Beitrag, um Europa künftig von nationalistischen Exzessen und damit vor der Geißel des Krieges zu verschonen
Zerstörung des Menschlichen
Gerade in diesen Tagen müssen auch wir Österreicher uns ernsthaft die Frage stellen, ob und wieweit uns das tragische Kriegsgeschehen nur wenige Autostunden von unserer Grenze entfernt überhaupt die moralische Berechtigung gibt, in feierlicher Stimmung diesen Festspielsommer zu begehen. Es ist eine Frage, die wir nicht leichten Herzens beiseiteschieben werden, wenn unser Mitgefühl und Mitleid ehrlich ist. Denn wir erleben ja mitten in Europa nicht nur ein Inferno der Gewalt und des Leidens - wir stehen auch vor einer unfaßbaren Zerstörung des Menschlichen und einer Verhöhnung längst akzeptiert geglaubter Werte.
In dieser Situation, die ganz offenkundig nicht nur die Emotionen vieler Bürger, sondern auch die Staatskunst
der Verantwortlichen überfordert, ahnen wir plötzlich, wie mühselig und voller Rückschläge der Aufbau eines gemeinsamen Europa noch sein wird. Und wie fatal es wäre, diesen Einigungsprozeß nur als wirtschaftliches und politisches Problem zu sehen. Ich
selbst bin überzeugt davon, daß wir die erhoffte Neuordnung dieses Kontinents weder den Staatsmännern und Diplomaten, noch den Kaufleuten allein überlassen dürfen.
Europas Einheit ist in meinen Augen zuallererst eine geistige Aufgabe. Sie braucht Aufbruchsstimmung statt Resignation und Angst. Sie braucht Solidarität statt Egoismus - und sie braucht Phantasie, um Europa nicht nur den bürokratischen Zwängen und Notwendigkeit allein zu überlassen.
Eine Schicksalsgemeinschaft
Auch aus dieser Erkenntnis heraus habe ich in meiner Angelobungsrede vor der Bundesversammlung (FURCHE 29/1992) mit allem Nachdruck um die aktive Mitarbeit unserer Landsleute aus dem Kultur- und Geistesleben geworben und gemeint, wir müßten uns in Zukunft noch mehr als bisher um eine „Politik des Geistes" bemühen. Das gilt für ganz Europa -und es gilt selbstverständlich auch für unser Österreich. Mehr denn je braucht unser Land, das in den kommenden Jahren vor schicksalshaften Weichenstellungen steht, das Vor-Denken und Nach-Denken jener, denen die Gabe geschenkt wurde, weiterzublicken, weiterzudenken und weiterzufühlen.
Es wäre falsch, und längerfristig für unser demokratisches System auch unheilvoll, wenn wir zwischen einem Europa der Politik und einem Europa des Geistes und der Kultur eine Trennlinie ziehen würden. Wichtiger als alle Verträge und Vereinbarungen scheint mir, daß wir Europäer uns über alles Trennende hinweg als eine untrennbare Kultur- und Schicksalsgemeinschaft erkennen.
Auszug aus der Rede des Bundespräsidenten anläßlich der Eröffnung der Bregenzer Festspiele am 21. Juli 1992.
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