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Die Versdiwörerpsydiose
„Wenn das so weitergeht, werde bald auch ich der Verschwörung gegen die Republik angeklagt“, sagen sich jetzt viele Italiener mehr oder minder scherzhaft. Es gibt sozusagen niemanden in diesem Lande, der nicht schon Übles über dessen Staatseinrichtungen und prominente Vertreter zum besten gegeben hätte. Die Italiener betreiben ja ihre Kritik am schlechten Funktionieren des Staatswesens als eine Art Nationalsport. Unter solchen Vorzeichen muß mancher, der genügend wichtig ist, befürchten, daß ihm die eine oder andere abschätzige Äußerung als Beweis für eine Beteiligung an einer Verschwörung, oder gar als Vorbe-
reitung zum Hochverrat ausgelegt wird. So herrscht denn im Lande eine Angstpsychose, die ah die zwanziger Jahre erinnert, als Mussolini seine prominenten politischen Geg-
ner, die nicht rechtzeitig ins Ausland flüchten konnten, kurzerhand verhaften ließ. In den USA, unter Senator McCarthy, war anfangs der fünfziger Jahre eine solche Hexenjagd gegen alle wirklichen und vermeintlichen Kommunisten im Gange. Damals nahm ein Thomas Mann den Weg zurück zum Alten Kontinent.
Wo keiner mehr vor dem andern sicher ist und eine böse Zunge die andere in größte Verlegenheit bringen kann, versucht jeder, der in
Sachen politische Verschwörung oder gar Hochverrat ein bißchen „Dreck am Stecken“ hat, sich vor „ der , Verhaftung zu retten. Bevor die Carabinieri an seiner Haustür klopften, berief der christdemokratische Regionalrat de Jorio eine Pressekonferenz ein, in der er für den Fall einer Festnahme seinen Standpunkt im voraus bekanntgab. Am Ende seiner Enthüllungen mußte sich ein unvoreingenommener Beobachter fragen, ob es wohl nicht besser gewesen wäre, der Regionalrat hätte auf den Rat des alten Weisen gehört, der zu einer ähnlichen Plaudertasche bekanntlich sagte: „Hättest du geschwiegen, wärest du Philosoph geblieben.“
Am meisten Aufsehen erregte die gerichtliche Mitteilung an den früheren langjährigen Verteidigungsminister Pacciardi, sich für den Fall einer Anklage wegen politischer Verschwörung nach einem Anwalt umzusehen. Pacciardi gehört zu Italiens bedeutendsten Politikern der Nachkriegszeit. Im Gegensatz zu vielen anderen großen Namen ist er mit dem Regime des Duce keine Kompromisse eingegangen. Im spanischen Bürgerkrieg hat er gegen Franco gekämpft, und vor und nachher ein Flüchtlingsleben voller Entbehrungen in Österreich, der Schweiz und Frankreich auf sich genommen. Sein Stern war im Sinken, als er vor zwölf Jahren den Beschluß seiner Partei, den politischen Kurs „links von der Mitte“ zu unterstützen, scharf bekämpfte, aus der republikanischen Bewegung ausgeschlossen wurde und vergeblich mit Hilfe einer eigenen Partei, der „Neuen Republik“ ein Comeback anstrebte. Die Behauptung, daß Pacciardi sich aus Frustration oder Eitelkeit wirklich dazu hergegeben hätte, eine rechtsextremistische Gruppe mit Staatsstreichgelüsten zu unterstützen, ermangelt eines hieb- und stichfesten Beweises. Jedenfalls ist es sein Pech, daß die „Möchtegern“-Putschisten ihn vor drei Monaten aufs Schild erhoben haben. Wäre der zweite „Marsch auf Rom“ im vergangenen August geglückt, so hätte angeblich der 75jährige Pacciardi in Italien das Präsidialregime nach de Gaulles Vorbild errichtet und den neuen starken Mann Italiens abgeben sollen.
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