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Die Volkspartei ringt um ihre Identität

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Verteidigungsminister Werner Fasslabend, Koordinator der Programmdebatte in der ÖVP, erhofft sich von der Ideologie-Diskussion eine neue Grundsatz-Orientierung in der Tagespolitik.

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Verteidigungsminister Werner Fasslabend, Koordinator der Programmdebatte in der ÖVP, erhofft sich von der Ideologie-Diskussion eine neue Grundsatz-Orientierung in der Tagespolitik.

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FURCHE: Der Startschuß für die Programmdebatte erfolgte im Februar. Wie ist der aktuelle Stand?

FASSLABEND: In der ersten Phase ist es darum gegangen, die Debatte in allen Landesorganisationen in Schwung zu bringen. Außer in Niederösterreich ist das überall gelungen - dort gibt es aufgrund der Landtagswahl eine Verzögerung.

Nach den bisherigen Erfahrungen kann man sagen, daß die Programmdebatte auf großes Interesse stößt. Auf der einen Seite wird die Politik zwar immer stärker personalisiert - andererseits gibt es gerade deswegen das Bedürfnis, über programmatische und weltanschauliche Fragen zu diskutieren und das dann auch in der Tagespolitik umzusetzen.

FURCHE: Nur einige Stimmen aus den letzten Tagen zur Lage der ÖVP: Kurt Vorhof er, der „Doyen” der innenpolitischen Journalisten, schrieb in der „Kleinen Zeitung” über eine existentielle Krise der ÖVP, die sich von der Fiktion der „großen sozialen Integrationspartei” verabschieden müsse. Der stellvertretende Wiener Landesobmann Andreas Solcher ortet eine Furcht vor der Debatte über die eigene Identität. Und schließlich diagnostizieren die Meinungsforscher einen langfristigen Schwund an Stamm- und Jungwählern.

FASSLABEND: Das sind wohl die wichtigsten Fragen, die bei einer Programmdebatte geklärt werden sollten: Wer bin ich, und wer möchte ich eigentlich sein. Und natürlich muß man sich fragen: Sind wir eigentlich noch die Volkspartei, wie sie einmal war und wie sie in unseren Traditionen teilweise noch fortlebt. Bei der ersten Frage ist es wichtig, unabhängig davon, wo wir stehen, zu sagen, wohin die Reise gehen soll. Also abgekoppelt von der Tagespolitik zu überlegen, was die großen Probleme der Zukunft sein werden und wie wir sie lösen können. Das wollen wir in dieser ersten Diskussionsphase zustande bringen -wir haben daher bewußt darauf verzichtet, sofort mit konkreten Programmvorschlägen hineinzugehen. Das muß vorerst eine vollkommen offene Debatte bleiben. Ich muß erst die Ziele festlegen und kann dann erst sagen, was uns von dieser zukünftigen Orientierung trennt.

Und dann müssen wir uns fragen, ob wir überhaupt noch eine klassische Volkspartei sind. Natürlich unterscheiden wir uns sehr stark von der früheren ÖVP. Wir waren lange Zeit eine 50-Prozent-Partei, jetzt sind wir eine Drittel-Partei. Allerdings zeigt sich nach wie vor, daß wir eine breite Streuung in allen Bevölkerungsschichten und Berufsgruppen haben. Die Frage, ob wir noch eine Volkspartei sind, hat aber weniger mit Prozentsätzen bei einer Wahl zu tun, sondern ob man die allgemeinen Probleme des Volkes in den Vordergrund stellt oder nur die Anliegen einer bestimmten Gruppe. Und wir stellen diesen allgemeinen Anspruch. Wir wollen die Probleme lösen, die den gesamten Staat betreffen.

Was die Attraktivität für die Jugend betrifft: Man kann gerade bei den Jungen ein starkes Bedürfnis nach einer

FURCHE: Wie soll es mit der Programmdebatte weitergehen? Drohen nicht Verzögerungen durch die Wahlen im kommenden Jahr (Anm.: Nationalratswahl, Landtagswahlen in Kärnten, Tirol, Salzburg, Vorarlberg)?

FASSLABEND: Wir müssen versuchen, die Programmdebatte davon abzukoppeln. Es geht ja nicht um ein

Wa/i/programm, sondern um ein Grundsatzprogramm. Ich erwarte mir aber positive Impulse für die Nationalratswahl. Wir werden uns auf jeden Fall bemühen, die Grundsatzdebatte 1994 abzuschließen.

FURCHE.Heißtdas, daß kommendes Jahr ein neues Grundsatzprogramm beschlossen werden soll?

FASSLABEND: Bis zu einem Sonderparteitag - vielleicht sogar noch vor der Nationalratswahl - sollen neue Lösungsansätze für die Zukunft formuliert werden. So ist etwa die Frage des Umweltschutzes im Salzburger Programm noch nicht berücksichtigt. Die anderen Werte ändern sich vielleicht in ihrer Hierarchie - da wird es neue Orientierungen geben. Und dann sollen natürlich auch Lösungsvorschläge erarbeitet werden, wie das Programm in der Tagespolitik verwirklicht werden kann.

FURCHE: Zwischen den hehren Ansprüchen eines Parteiprogrammes und der politischenWirklichkeit klafft oft eine große Kluft...

FASSLABEND: Es ist richtig, daß diese Diskrepanz von vielen negativ erlebt wird. Das ist auch der Sinn einer Ideologiedebatte. Darum wollen wir ja die für uns gültigen Werte verbindlich definieren und damit ein stärkeres Wertebewußtsein bei den Entscheidungsträgern herbeiführen. Wir brauchen eine stärkere Verknüpfung der Tagespolitik mit unseren Grundsätzen. Das betrifft alle - die ÖVP-Mitglieder in der Bundesregierung und in den Landesregierungen ebenso wie den Parteiobmann und die Landesobmänner.

Das Gespräch mit Verteidigungsminister Werner Fasslabend führte Norbert Stanzel.

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