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DieWelt des Surrealisten Leherb

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Der Wiener phantastische Realismus stellt, wie das Wort besagt, Phantastisches realistisch dar, er ist surreal. Wird aber mit diesen Mitteln in symbolischer Umsetzung eine Diskrepanz im Weltgefüge penetrant fühlbar gemacht, so ist das Surrealismus, den heute der in Paris lebende Wiener Leherb konse-

quent fortführt. Seinem Schaffen ist ein umfangreiches, in der Edition Arcade, Paris-Brüssel, erschienenes Werk „Die Welt eines Surrealisten“ gewidmet, dessen großartige Aufmachung schon der Preis kennzeichnet: 3080 Schilling. Dies wird durch 60 zum Teil doppelseitige, achtfarbige Reproduktionen, mehr als 100 großflächige Schwarzweißabbildungen und die zahlreichen viersprachigen Texte gerechtfertigt.

Nach einem Vorwort von Marcel van Jole, in dem dieser belgische Kunsttheoretiker viel Persönliches über den „Dandy par excellence“ den „schwarzen Prinzen des Surrealismus“, wie Leherb bezeichnet

wird, mitteilt, bietet Gustav Rene Hocke eine ausführliche Interpretation seines Schaffens, wofür er als Autor des grundlegenden Werks über den bildnerischen und literarischen Manierismus geradezu prädestiniert ist. Er ordnet die als „Destruagen“, Zerstörungen, bezeichneten Radierungen Leherbs den besten und seltensten Versuch einer Epoche zu. Von Zerstörungen kann man tatsächlich sprechen, sie stellen ein Ineinander von menschlichen Körpern mit Amphoren, einer Uhr, einem Auge, einem durchlöcherten Gebilde als Kopf, mit Beinen ohne Körper, Hände ohne Arme, mit Leherb selbst, immer wieder mit seiner Frau Lotte, mit erotisch wirkenden Teilen des weiblichen Körpers, mit flatternden Tauben, kriechenden weißen Mäusen dar. Leherb spricht von „Zeitzerstörern“. Nun ist aber die Zeit als ein Nacheinander im Nebeneinander des Bildes kaum darstellbar, die Futuristen haben es versucht, bei Leherb deuten Uhren, im besonderen zerstörte, das Vergehen der Zeit an. Hocke erklärt, es gehe in den abstrusen „Zeittötern“ um die Vernichtung einer alten Zeit in unserer dramatischen Zeitenwende, die durch Erkenntnisse der Kernphysik, durch die Weltraumfahrt gekennzeichnet ist. Damit aber ergebe sich der echte Ausdruck einer Menschheitssituation, da die Aftsdrucksmittel dem immer skurrileren Charakter unserer Epoche entsprechen. Leherb biete damit viel eher Symbole heilsamer Verwandlung als Gleichnisse sinnloser Zerstörung.

Keine sinnlose Zerstörung, gewiß, aber heilsame Verwandlung? Camus hat den Surrealismus als metaphy-

sische Revolte gedeutet. In diesem Sinn ist wohl auch Leherbs Sabotage gegen das heute Bestehende, sein völliges Außerkraftsetzen unserer hypertrophen Ratio, aufzufassen. Die Metamorphosen weisen darauf hin. Mehrfach tragen in den Gemälden männliche Körper Pferdeköpfe, es fallen einem die Tierköpfe der ägyptischen Götter, der Löwenkopf des Kronos ein. Die mythischen Bereiche des Menschseins, jene Bereiche sind einbezogen, in denen Mensch, Tier, ja, die Gegenstände wie zum Hohn gleichsam diffundieren. Damit ist aber nicht nur die Diskrepanz im Jetzt, es ist die Diskrepanz im Urgrund-alles Lebenden, alles Seiendem*s\fonM/ * * Der Surrealismus in Leherbs Auf-

fassung sei viel weniger eine Stilrichtung der Malerei als eine allgemeine Verhaltensweise dem Leben gegenüber, schrieb Ernst Koller in einer der zahlreichen wiedergegebenen Stellungnahmen von Kunstkritikern zu diesem Maler. Und Paul Durand, nach Bretons Tod wichtigster Anwalt der Pariser Surrealisten, erklärt, Leherb sei vielleicht der einzige Künstler, der versuche, seine Bildwelt mit seinem äußeren Dasein in völlige Übereinstimmung zu bringen. Die Art seines öffentlichen Auftretens zeigt es.

DIE WELT EINES SURREALI-STEN.:Vpti Gustav Rene Hocke. Edition Arcade, Paris-Brüssel. 238 Seiten, Preis S 3080.—.

Die in Wien beheimatete neue internationale Vierteljahreszeitschrift für Politik, Wirtschaft und Zeitgeschichte — „Europäische Rundschau“ — hat weit über die Grenzen Österreichs hinaus ein überraschend starkes Echo gefunden. Rund 50 Zeitungen, von der „Frankfurter Allgemeinen“ und der „Neuen Zürcher Zeitung“ bis zum rumänischen KP-Organ „Scinteia“, berichteten — zum Teil ausführlich — über die Neuerscheinung.

Die von einer Gruppe prominenter Vertreter der Sozialpartner und der großen Banken herausgegebene Zeitschrift wendet sich bewußt an einen anspruchsvollen Leserkreis im In- und Ausland. Sie beschäftigt sich in erster Linie mit den verschiedenen Aspekten der West-Ost-Beziehungen, den europäischen Währungs- und Handelsproblemen und nicht zuletzt den Ent-

wicklungstendenzen im mitteleuropäischen Raum. Die erste Nummer brachte exklusive Aufsätze von Bundeskanzler Kreisky, dem rumänischen Außenminister Macovescu, dem sowjetischen Professor Gwischiani (Schwiegersohn Kossygins) sowie dem früheren Nationalbankspräsidenten Wolfgang Schmitz, der auch stellvertretender Vorsitzender des achtköpfigen und von ÖGB-Se-kretär Ströer geleiteten Herausgeberkomitees ist. Die kürzlich erschienene Oktobernummer bringt solche Gegenpole, wie zum Beispiel ORF-Chefredakteur Dal-ma und Justizminister Broda,

Girozentrale-Generaldirektor Taus und den prominenten Budapester Publizisten Peter Renyi, zusammen. Der ehemalige „Mo-nat“-Chefredakteur Allemann beschäftigt sich mit den „Eidgenössischen Widersprüchen“, während Professor Wandruszka unter dem Titel „Die Überwindung einer Erbfeindschaft“ die wechselvolle Geschichte der österreichisch-italienischen Beziehungen analysiert.

Eine „publizistische Visitenkarte des neutralen Österreich“ also, die mit ihrem englischsprachigen Anhang europäisches Niveau erreicht.

Raimund Schiff ner

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