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Ein neues Hemd für Österreich?

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Die Schaffung eines Europas der Bekenntnisse schreitet zügig vor- an. Und diese eilen zum Teil politi- schen Gegebenheiten und Einzel- interessen weit voraus. Sie sind - wie der jetzt beim Sonder-Gipfel des Europäischen Rates in Dublin erzielte gemeinsame Nenner der Zwölfergemeinschaft in Richtung Politische Union - nicht selten Versuche, das politisch-wirtschaf t- lich-militärisch hochkomplexe Ge- schehen am Alten Kontinent ver- ständlich zu machen und unter dem Aspekt gemeinsamer Herausforde- rung zusammenzufassen.

Politische Bekenntnisse fordern zur Stellungnahme heraus: Wenn eine politische Einheit EG-Euro- pas angestrebt wird, berührt diese Option nicht nur die Mitglieder selbst, sondern die gesamte euro- päische Mitwelt. Und die ist noch mehrfach gespalten: Auf der einen Seite Europas steht unbedingter, vor allem von Frankreich und Deutschland vorangetriebener Einigungswille, auf der anderen Seite holen Völker jahrzehntelang vernachlässigte und unterdrückte nationale Bedürfnisse nach.

Aber auch der Blick in die Zu- kunft, den sich die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Gemeinschaft am Wochenende in Irlands Hauptstadt gestatteten, ist von einigen Warnungen - Däne- marks, Portugals und vor allem Großbritanniens - vor einer zu ra- schen Verwirklichung der Politi- schen Union getrübt. Der mögliche Verlust der nationalen Identität schreckt auch EG-Mitglieder vor dieser Perspektive ab.

Viele hecheln aber der Schnellig- keit, mit der diese Bekenntnisse abgegeben werden, hinterher; nicht nur manche ehemalige Staaten des realen Sozialismus, sondern auch neutrale wie Österreich.

Außenminister Alois M'ock meint, Österreich könne in vier bis fünf Jahren EG-Mitglied sein. Eine dynamische EG-Anpassung ist jetzt angesagt. Neutralität als Beitritts- hindernis, wird beteuert, sei vor allem durch die osteuropäischen beziehungsweise die deutsch-deut- schen Veränderungen weggefallen. Österreich, so Mock am Montag, hat heute keine Berührungsängste mehr vor dem Begriff Europäische Sicherheitspolitik. Machen wir damit in vorauseilendem Gehorsam Abstriche von unserer Neutralität? Legen wir unsere Identität wie ein Hemd ab? Hat sie uns - wie der Wiener Politologe Heinrich Schnei- der in einem Kommentar in der „Kleinen Zeitung" vom vergange- nen Samstag schreibt - nichts an- deres als „Distanzierung vom Ost- West-Konflikt" bedeutet?

Wir sollten im 35. Jahr unserer Freiheit darüber nachdenken. Neutralität war niemals bloßes Heraushalten (Österreich ist mit seinen UNO-Soldaten den Beweis dafür nicht schuldig geblieben). Neutralität war und ist Ermögli- chung des Dialogs, den wir auf unsere Fahnen geheftet haben, um zur Überwindung von Gegensätzen beizutragen.

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