6995093-1987_06_14.jpg
Digital In Arbeit

Elektronische Sklaven im Dienst des Homo sapiens

Werbung
Werbung
Werbung

Nach Erfindung der Schrift stellt die moderne Informationstechnik die größte Umwälzung in unserer informationellen Umwelt dar. Wir stehen am Rande einer zweiten Kopernikanischen Wende, in der es gilt, das Potential technischer Informationsverarbeitung konstruktiv zu nutzen.

Ähnlich wie zu Zeiten Galileis und Keplers ein neuer Denkansatz die Menschheit erschütterte, so sind auch heute viele in Sorge, daß moderne informationsverarbeitende Technik überwiegend negative Wirkungen haben wird,

da die Position des autonomen Homo sapiens zur Disposition steht.

Es gilt daher Ansätze zu finden, wie eine human computerisierte Gesellschaft gestaltet werden kann, die zum einen die Potenzen der modernen Informationstechnik intensiv nutzt und zum anderen sicherstellt, daß negative Effekte minimiert werden.

Wichtig ist es, eine Gesellschaftspolitik zu entfalten, die die verschiedenen positiven Aspekte zu bündeln sucht und ein Gesamtkonzept entwickelt.

Zum einen muß der Mensch lernen, in der neu verfügbar werdenden Zeit das typisch Humane zu entwickeln. Zum anderen müssen wir durch ein neues Wirtschaftssystem dafür Sorge tragen, daß die von technischen Sklaven produzierten Güter und Dienstleistungen angemessen verteilt werden.

Das heutige System der Marktwirtschaft kann dies nicht leisten, wenn die Kette „Arbeit ergibt Lohn-Lohn ergibt Anteil an Produktivität“ zerbricht. Man kann sich jedoch durchaus vorstellen, daß in einigen Jahrzehnten eine allgemeine Grundversorgungsindustrie alle Menschen eines Volkes mit Grundgütern versorgt, wobei dort mit extrem hoher Arbeitsproduktivität in privat organisierten Volksaktiengesellschaften produziert wird.

Große Bedeutung kommt der Informationstechnik auch im Bereich der Ökologie zu. Wenn es gelingt, eine Grundversorgung mit Nahrungsmitteln zu sichern, so kann das gesamte System der Bewirtschaftung landwirtschaftlicher Flächen umgestellt werden. Wir brauchen nur noch einen Teil der Flächen wirklich für die Nahrungsmittelproduktion zu nutzen, während ein größerer Anteil ökologischen Aufgaben zugeführt werden kann.

Ferner ist es möglich, mit Hilfe moderner Meß-, Steuer- und Regeltechnik viele Prozesse wesentlich effizienter zu betreiben und damit umweltfreundlicher zu gestalten als dies heute der Fall ist. Das trifft insbesondere für Fragen der Kontrolle von Umweltverschmutzung, der Energieproduktion und der Synthese moderner Chemikalien zu.

In Politik und Verwaltung erlaubt die moderne Informationstechnik einen gravierenden Wandel zugunsten besserer Mitbestimmung und breiterer demokratischer Repräsentanz. Während wir heute die Meinungen der Bürger nur durch periodische Wahlgänge global abrufen, da der

direkte Zugang zu den individuellen Meinungen zu wichtigen Themen zu aufwendig ist, erlauben moderne telekommunikative Systeme die Integration des Bürgers in eine direktere Demokratie.

Beginnend auf der regionalen Ebene, aber zunehmend bei grundsätzlichen Fragen auf Bundesebene ist es möglich, Abstimmungen zu Sachfragen mit breiter Repräsentation durchzuführen.

In gleicher Weise wie das System der heutigen repräsentativen Demokratie aufbaut auf der Fähigkeit der Bürger, lesen zu können, so kann man heute, aufbauend auf der neuen Fähigkeit, Information technisch zu verarbeiten, das heißt „mit Informationstechnik kognitiv mobil zu sein“, eine direktere Form der Demokratie und Mitbestimmung entfalten.

Dies unterstellt allerdings, daß breite Schichten sich moderne Informationstechnik als persönliche Denkzeuge aneignen und als „kognitive Sklaven“ einsetzen,

um die zur Sachentscheidung notwendige Informationsverarbeitung vor Ort durchzuführen.

Ähnliche Überlegungen gelten auch für die betriebliche Organisation, insbesondere für das Büro, den Arbeitsplatz der Geistesarbeiter. Während im alten Büro die Masse der Routinearbeiten vom Menschen zu leisten war, ist es heute möglich, eine vernünftigere Arbeitsteilung zwischen menschlicher und technischer Informationsverarbeitung zu organisieren.

Das typisch Menschliche, das heißt das Kreative, das Innovative, das Soziale und das Ganzheitliche müssen beim Menschen bleiben, während viele Routinen an die Informationstechnik delegiert werden können. Dadurch kann die Leistungsfähigkeit von Ver-waltungs- und Büroarbeiten dramatisch gesteigert werden. Entscheidungen zum Beispiel, die früher aus der „hohlen Hand“ realisiert wurden, können jetzt aufbauend auf ausreichendem Datenmaterial sachgerecht realisiert werden.

Die modernen Informationsund Telekommunikationstechniken fordern den Menschen in einer nie dagewesenen Art und Weise heraus.

Die Technik ist keineswegs ein Selbstläufer, sondern sie entsteht durch die Gestaltungsleistung des Menschen; ihre Integration hängt von der Art und Weise ab, wie wir mit der Technik umgehen.

Eine Alternative zu konstruktiver Politik gibt es nicht. Da die Informationstechnik eine wettbewerbsverschärfende Technik ist, wird sie sich mehr und mehr durchsetzen, getragen von denen, die sie vorantreiben.

Ein Verzicht auf diesen Prozeß wird insbesondere in Staaten, die selber gar keine Informationstechnik erfinden und produzieren, sondern im wesentlichen vom Import abhängen, zu einer starken Abhängigkeit im internationalen Wettbewerb führen — mit allen Nachteilen zum Beispiel im Volumen des Bruttosozialprodukts oder der kulturellen Identität eines Volkes.

Der Autor ist Professor für angewandte Informatik an der Universität Bremen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung