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Programmierter Analphabetismus

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Genügt ein neues Management als Antwort auf die Herausforderung der Universität im 21. Jahrhundert? Was jetzt gefragt ist, ist Denken in großen Zusammenhängen.

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Genügt ein neues Management als Antwort auf die Herausforderung der Universität im 21. Jahrhundert? Was jetzt gefragt ist, ist Denken in großen Zusammenhängen.

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Der Diskurs über die Universitäten ist wieder im Gange. Von den verschiedensten Seiten werden die hohen Studentenzahlen, die fehlenden Professoren und Assistenten beklagt. Wen wundert es da, daß auch die technische Ausrüstung nicht ausreicht und die Studenten für Computer demonstrieren.

Ein Sündenbock wurde auch schon gefunden: das Ministerium. Natürlich, wer sonst. Aber so einfach ist es nicht. Und wer glaubt, im „Würgegriff der Minibürokra-

ten" (FURCHE 47/1985) zu erstik-ken, der überschätzt deren Fähigkeiten oder liegt bei der Analyse der Ursachen der Universitätsprobleme ziemlich daneben.

Aber eine Lösung scheint schon in Sicht: eine „Universitätspla-nungskommission", wie sie Wissenschaftsminister Heinz Fischer vorgeschlagen hat und die — vielleicht bis auf ihren Namen — nichts Bürokratisches mehr an sich haben soll.

Ein „Rat der Weisen" oder vielleicht die „Regierung der Philosophen"?

Nein, da wird schon mehr Hirnschmalz und Initiative notwendig sein, um den Kollaps des Bildungssystems abzuwenden.

In der Folge soll auf einige Fragen jenseits der „materiellen" Probleme der Universitäten (zu wenig Personal, zu wenig Raum, zu wenige Geräte), auf einige „postmaterielle" Schwierigkeiten, die am Bildungshorizont auftauchen, eingegangen werden.

Die berufliche Qualifizierung ist eines der bildungspolitischen Ziele, und es kann ohne Übertreibung gesagt werden, daß ein Großteil der Studierenden, obwohl mit immer schlechteren Chancen, dieses Ziel anstrebt.

Definiert wurde dieses Ziel in

den sechziger Jahren, als die Informationsverarbeitung noch relativ schwach und teuer war. Die Wirtschaft und die Industrie hingen intensiv von menschlicher Informationsverarbeitung ab. Das ändert sich nun grundlegend. In Zukunft besteht zunehmend die Gefahr der Konkurrenz von Gehirn und Informationstechnik.

Die Prinzipien rationalen Handelns, nach denen Rechner arbeiten, werden auch im Bildungswesen mit dem Ziel vermittelt, den Menschen in der Berufswelt strukturiert, überschaubar, rational und kontrolliert „funktionieren" zu lassen.

Das Abdecken der gleichen Felder der Informationsverarbeitung durch technische Systeme und Qualifikationen im Menschen, die so ausgebildet werden, daß sie wie Computer arbeiten, ist jedoch eine große Gefahr. Frustration wird diejenigen erfassen, die dieses

falsche Bildungsangebot genutzt haben und dann eines Tages dem billigeren, wartungsfreien und schnelleren informationstechnischen System gegenüberstehen.

In diesem Spannungsfeld muß Berufsausbildung neu definiert werden. Eine konsequente Nutzung der Informationstechniken wird immer deutlicher machen, daß es zunehmend drei große Gruppen gibt, deren Qualifikationen vom Bildungswesen zu vermitteln, aber auch zu überdenken sind:

• Autonome: Das sind jene Beschäftigten, denen es weiterhin gelingt, ihre Arbeiten ohne Informationstechnik und ohne intensiven Informationszugang auszuführen;

• Substituierbare: Das sind jene, deren Tätigkeit von der Informationstechnik derart betroffen ist, daß sie in Zukunft für den alten Beruf nicht mehr gebraucht werden;

• Unberechenbare: Sie verrichten unter intensiver Nutzung von Information und neuen Technologien Arbeiten, die so komplex sind, daß sie unberechenbar im Sinne moderner Informations-

technik und daher nicht ersetzbar sind (Unterscheidung nach Klaus Haefner).

Angesichts dieser Entwicklung ergeben sich für das Bildungssystem und speziell für die Universitäten folgende Probleme:

Das Bildungskonzept zerbrök-kelt angesichts der Tatsache, daß viele Qualifikationen irrelevant werden und die relevanten Qualifikationen viel zu komplex sind, um bei der derzeitigen Organisation des Bildungswesens von einer breiten Schicht der Bevölkerung erreicht zu werden.

Die Finanzierung des Bildungswesens wird ernsthaft in Frage gestellt werden, wo doch nicht einsichtig ist, warum auf einer breiten Basis ausgebildet und gebildet werden muß, wenn ein großer Teil der Informationsverarbeitung schneller, zuverlässiger und kostengünstiger von Infor-

mationstechnik geleistet werden kann.

Informationsflut und breite Verfügbarkeit von Informationstechnik wandeln die informationelle Umwelt des Menschen. Dies führt zu einer generellen Desorientierung der Lernenden. Es stellt sich die Frage, wie die Informationsflut in einen sinnvollen Zusammenhang gebracht werden kann.

Für den Menschen bleibt unklar, wie er jenseits der Informationstechnik einen menschlichen Lernzielhorizont anvisieren kann, ist doch das Bildungssystem noch immer auf die Ausbildung des „Computers auf Beinen" konzentriert.

Die Hochschulen werden in allen ihren Fächern eine starke Herausforderung an ihre Fähigkeit erfahren, Zusammenhänge jenseits von detailliertem Fachwissen zu vermitteln, da das Bedürfnis steigen wird, grundsätzliche menschliche Kompetenz und Verantwortung in einer Gesellschaft zu verstehen, in der Informationstechnik mehr und mehr zum Nervensystem wichtiger Prozesse gemacht wird.

Die Berufsausbildung wird durch die Informationstechnik in dreifacher Weise herausgefordert:

• Was ist eigentlich Berufsqualifikation, wenn die wesentlichen Arbeitsfelder in einem Beruf von einer Maschine und einem Programm übernommen werden?

• Die Ausbildung muß sicherstellen, daß der Mensch nicht in einen unmittelbaren Wettbewerb mit der Informationstechnik gerät,

• und sie muß einen Beitrag leisten, daß der Mensch in einer sich wandelnden Umwelt die für ihn relevanten Informationen erkennt und verarbeiten kann.

Das Bildungssystem reagiert äußerst träge auf diese neuen Entwicklungen. Noch einmal Klaus Haefner: „Das Bildungswesen versäumt es, der breiten Bevölkerung den Zugang zur Informationstechnik als Basistechnologie der Zukunft angemessen zu vermitteln. Die Absolventen des herkömmlichen Bildungswesens sind Analphabeten im Hinblick auf Grundkenntnisse der technischen Informationsverarbeitung. Das Verhältnis der heutigen Schüler und Studenten zur Informationstechnik entspricht

dem des Analphabeten zum Buch vor 300 Jahren. So wie dieser zwar gewußt hat, daß es Bücher gibt, die fast ausschließlich von Gelehrten, Priestern oder Militärs genutzt wurden, aber für ihn selbst unerreichbar waren, so steht der mittlere Bürger der Industrienationen heute der Informationstechnik gegenüber: Beeindruckt, interessiert, besorgt -aber letztlich unwissend."

Vor diesem Hintergrund wird die Kurzatmigkeit der derzeitigen Diskussion über die Krise der Universitäten klar. Sie wird eben nicht dadurch gelöst, daß der Minister den Informatikstudenten 40 Personalcomputer verspricht.

Vor den Universitäten liegt eine gigantische Herausforderung.

Dabei sollte in Grundzügen die Reorganisation der Inhalte der Studien im Hinblick auf die rasante Entwicklung der Informationstechniken festgelegt werden.

Gleichzeitig muß das Universitätsmanagement optimal und regelmäßig geschult werden. Jede Universität sollte ein Planungsgremium zusammenstellen, in dem Ziele der Ausbildung definiert und deren Realisation überwacht werden.

Die Universitäten sollten Technologieparks gründen und in einer offensiven Marketingstrategie die Zusammenarbeit mit Firmen und Initiativen suchen. Die dabei erzielten Einnahmen bleiben der Universität zur freien Verwendung.

Ob der Zug tatsächlich in diese Richtung fährt, ist allerdings eine andere Frage.

Das vorausschauende Denken in großen Zusammenhängen war noch nie eine Stärke des spezialisierten Bildungssystems, in dem es noch nicht einmal gelungen ist, eine obligatorische Weiterbildung der Lehrenden durchzusetzen.

Osterreich als aufstrebendes Entwicklungsland sollte es dennoch versuchen.

Oer Autor war Vorsitzender des Zentralausschusses der Österreichischen Hochschülerschaft

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