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Information macht blind
Wir stehen ziemlich ratlos vor den Problemen der sich ausbreitenden Informationstechnik — vor der Informationsgesellschaft. Diese Ratlosigkeit ist ein internationales Phänomen.
Beispielsweise schließt der vielbeachtete französische Bericht über „Die Informatisierung der Gesellschaft“ mit der Frage: „Lassen Aktualität und Ausmaß der Zwänge, die die französische Gesellschaft erleben wird, ihr die Zeit für diesen lebensentscheidenden Lernprozeß?“
Nächst den ökonomischen Problemen mit der Freisetzung und Arbeitslosigkeit ist es vor allem dieses Problem, für das man bisher keine vernünftige Lösung gefunden hat: Wie wird man mit den sozialpsychologischen Problemen fertig, die sich aus dem rapide zunehmenden Informationsangebot ergeben?
Als ich — vor beinahe zwanzig Jahren — das Buch „Die informierte Gesellschaft“ schrieb, war ich überzeugt davon, daß mehr Information auch mehr Rationalität und bessere Entscheidungen bringen werde. Die Erfahrungen der letzten Jahre haben aber das Gegenteil ergeben. Wie kommt es zu dieser scheinbar paradoxen Entwicklung?
Zu ihrem Verständnis muß man von der informationellen Unzulänglichkeit des Menschen ausgehen: Das menschliche Bewußtsein ist quantitativ begrenzt und außerstande, seine komplexe Außenwelt auch nur annähernd vollständig zu begreifen.
Durch das zunehmende Informationsangebot wird der Mensch deshalb nicht zu immer besseren Entscheidungen befähigt, sondern er wird vor allem verwirrt. Die Unmenge von Informationen, die er weder intellektuell noch affektiv verarbeiten kann, stören ihn nicht anders, als ein voller Magen durch weitere Nahrungsaufnahme gestört wird.
Eine zwangsläufige Folge der informationellen Unzulänglichkeit des Menschen ist sein Angewiesensein auf Verantwortung und Vertrauen:
Der Mensch muß im sozialen Zusammenleben darauf vertrauen, daß andere Menschen unserer arbeitsteiligen Gesellschaft, auf deren Wirken er angewiesen ist, auch dann vertrauenswürdig handeln, wenn er deren Handlungen geistig nicht nachvollziehen kann.
Der Aufruf zum ständigen Mißtrauen, den manche Ideologie unserer Zeit verbreitet, führt in die falsche Richtung. Das Zusammenleben in der hochkomplexen Gesellschaft ist zwingend auf Verantwortung und Vertrauen angewiesen.
Man sollte hierbei auch dies nicht verkennen: Die bisherigen Aufforderungen zum Mißtrauen haben nicht — wie versprochen — zu mehr menschlicher Autonomie geführt, sondern zu größerer Abhängigkeit der Gesellschaft von einer ziemlich hemmungslosen Meinungsherrschaft.
Schon vor mehr als fünfzehn Jahren erkannte Martin Heidegger das wachsende Mißverhältnis zwischen der immensen praktischen Bedeutung von Information und Kommunikation und deren minimaler theoretischen Klärung. Er äußerte sehr entschieden die Ansicht, Philosophie bisherigen Stils ginge zu Ende, und an ihre Stelle träte jetzt die Wissenschaft von Information und Kommunikation.
Seitdem hat sich aber an der grotesken Mangelsituation kaum etwas geändert: Die Praxis der Information und Kommunikation entwickelt sich mit rasanter Geschwindigkeit in einen Raum hinein, der von keinerlei übergeordneter Theorie erleuchtet ist.
Warum geht es hier nicht weiter? Hierfür sehe ich zwei Gründe: Auf der Seite der Philosophen ist das Wissen um die Fakten und deren Bedeutung gering. Es schreckt auch ab, daß eine Philosophie der Information und Kommunikation vielleicht mit einem radikalen Abriß des Gebäudes der tradierten Philosophie beginnen müßte.
Auf der Seite der Informationspraktiker wieder fehlt der Mut, in diesen theoretisch so schwierigen und ideologisch so gefährlichen Raum vorzustoßen.
Der Beitrag erschien auch in der freiheitlich-konservativen deutschen Monatsschrift „Epoche“.
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