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Melden, was wichtig ist

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Die Grundmaxime der am meisten verbreiteten Informationsmedien lautet wohl ungefähr so: Es wird über das berichtet, was aktuell ist, was möglichst viele Menschen interessiert und was einen Neuigkeits-, Gefühls-, Sensations-, Uberraschungs- oder Konfliktwert hat.

Die Ereignisse, über die zu berichten ist, müssen zudem (nach Möglichkeit leicht) zugänglich sein. Dazu kommt — vor allem bei den wichtigen elektronischen Medien, die Anstalten des öffentlichen Rechts sind — die Forderung nach wertfreier Berichterstattung.

Diese Grundsätze bringen sicher große Vorteile, ja, sie gehören zum Fundament des freien In-

formationssystems der westlichen Welt. Dennoch bergen sie aber auch den Keim für Fehlentwicklungen in sich, die zur Frage berechtigen, ob dieses System in der gegenwärtigen Form nicht grundlegend überdacht werden müßte. An einigen Thesen soll diese Überlegung verdeutlicht werden.

1. Ein Zuviel an Information führt zu Desinformation.

Das Informationsangebot hat heute eine Dichte erreicht, die es schwer macht, von diesem Angebot einen vernünftigen Gebrauch zu machen. Die Menge der auf den Menschen unserer Tage einstürzenden Information gibt ihm kaum eine Möglichkeit, das Gebotene zu verarbeiten. Schon die Darbietungsform läßt oft eine Atmosphäre entstehen, in der es darauf anzukommen scheint, ein gewisses Maß an Information zu konsumieren, um auf dem laufenden zu bleiben und mitreden zu können. Nicht mehr.

2. Ein Zuviel an Information führt zu Gleichgültigkeit.

Sicher gibt es Anliegen, über die durch sehr lange Zeit sehr intensiv berichtet werden muß, damit sie breiteren Kreisen überhaupt erst zu Bewußtsein kommen. Ein Beispiel dafür ist der Umweltschutz. Hier hat nur konzentrierte Dauerinformation zu dem Erfolg geführt, der sich abzuzeichnen beginnt.

Aber es gibt viele Bereiche, in denen weit übers Ziel geschossen wird. Täglich und stündlich wiederholte Berichte über Bürgerkriegshandlungen im Libanon stellen keinerlei Hilfe für dieses Land dar, sondern führen dazu, daß man diesem tragischen Geschehen gegenüber abgestumpft wird und innerlich abschaltet.

3. Manche Informationen regen erst zu Untaten an.

Es liegt wohl auf der Hand, daß etwa Flugzeugentführungen ohne internationales Medienecho ziemlich uninteressant wären. Auch die meisten Terroranschläge würden ihr Ziel weit verfehlen, wenn über sie nicht berichtet würde.

4. Nicht-Ereignisse haben gegen Ereignisse keine Chance.

Das ist eigentlich der schlimmste Mangel unseres Informationssystems. Es wird in der Regel nur dann berichtet, wenn etwas vorgefallen ist, wie läppisch das auch sein oder irj der wievielten Wiederholung und Variation es auch angeboten werden mag.

Das schweigende Leid der vielen Millionen ist in diesem Sinn kein Ereignis. Der Hunger, die Krankheiten, das Elend der Kinder, Alten, der Geschundenen, die Not der Waisen und der Flüchtlinge, die körperliche und seelische Folter der Unterdrückten—das alles kommt nur ganz selten und zu besonderen Anlässen und in ganz bestimmten Zusammenhängen zu Nachrichtenehren.

Dazu kommt, daß man sich über die politischen Verhältnisse in vielen Ländern Informationen gar nicht oder nur unter sehr schweren Bedingungen beschaffen kann, weil das diese Länder nicht zulassen. So hält man sich eben an das leicht erhältliche Material und vermittelt so indirekt den Eindruck, als wäre in diesen „Ländern des Schweigens“ alles in Ordnung.

Daraus ergeben sich die zu stellenden Forderungen eigentlich von selbst. Es wäre ein Informationssystem zu fordern, das sich nicht in erster Linie an Aktualität und Ereignissen orientiert, sondern von Wertigkeiten bestimmt ist. Es müßte bei allem Streben nach Wertfreiheit und Objektivität möglich sein, solche Wertigkeiten außer Streit zu stellen — zumindest gemessen mit den Maßstäben der freien Welt.

Es müßte dann für die Auswahl der Informationen weder das Angebot noch die (tatsächliche oder vermeintliche) Erwartung des Publikums ausschlaggebend sein, sondern die Notwendigkeit einer Information. Diese - Information wäre auch zu geben, wenn sich „nichts Besonderes“ zugetragen hätte.

Im Zusammenhang mit einer Forderung nach dem Vermeiden einer „Informationsinflation“ und nach einer sorgfältigeren Dosierung von Information im Interesse ihrer bestmöglichen rationalen und emotionalen Aufnahme und Verarbeitung sowie nach dem Verzicht auf Informationen, die zu Nachahmungs- und Publizitätstäterschaft führen können, wären dies Ausgangsüberlegungen in Richtung auf eine Änderung des gegenwärtig praktizierten Informationssystems, das damit von einem passiv-beschreibenden zu einem aktiv-gestalten- den werden könnte.

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