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Gemeinsam für Freiheit

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Europäische und amerikanische Wissenschafter, Künstler, Gewerkschafter und andere Personen des öffentlichen Lebens haben unter Vorsitz des französischen Gelehrten und Publizisten Raymond Aron die nebenstehende Erklärung verfaßt, zu der man erstaunlicherweise im Nachrichten­magazin „profil“ lesen kann: Diese „rechten Eierköpfe“ seien „in Umfang und Inhalt zwischen den verwegensten Kopf­losen und den wagemutigsten Kopfschüßlern einzureihen“:

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Europäische und amerikanische Wissenschafter, Künstler, Gewerkschafter und andere Personen des öffentlichen Lebens haben unter Vorsitz des französischen Gelehrten und Publizisten Raymond Aron die nebenstehende Erklärung verfaßt, zu der man erstaunlicherweise im Nachrichten­magazin „profil“ lesen kann: Diese „rechten Eierköpfe“ seien „in Umfang und Inhalt zwischen den verwegensten Kopf­losen und den wagemutigsten Kopfschüßlern einzureihen“:

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Wir sind eine Gruppe von Schriftstel­lern, Künstlern, Journalisten, Publizi­sten, Wissenschaftern, Lehrern und Ge­werkschaftern aus verschiedenen Län­dern. Weil wir erkannt haben, daß die freie Gesellschaft zunehmend unter Druck gerät, haben wir uns zusammen­geschlossen, um der drohenden Gefahr entgegenzuwirken.

Unser Ziel ist es, gegen das Klima von Verwirrung und Apathie, Selbstzu­friedenheit, aber auch Selbstzerflei­schung anzukämpfen, das die westli­chen Demokratien angesichts einer wachsenden Bedrohung schwächt und letztlich ihr Überleben in Frage stellt.

Wie immer sich die Bedrohung mate­riell darstellt (sowjetische Raketenrü­stung, Kartell der OPEC, internationa­ler Terrorismus usw.), so erklärt sich unserer Meinung nach das offensichtli­che Zögern der westlichen Demokra­tien, mit der nötigen Dringlichkeit eine angemessene Selbstverteidigung aufzu­bauen, aus dem Einfluß einer Reihe schwerwiegender Irrtümer.

Diese sind zwar vielschichtig, lassen sich aber in folgender Liste nachweis­lich falscher Behauptungen zusammen­fassen: Das politische System unserer Demokratien beruhe auf der Unter­drückung des Volkes; die Freiheit, wel­che das demokratische System ge­währt, sei eine Täuschung; unser Wohl­stand schließlich sei das Ergebnis von Ausbeutung und Plünderung in der Dritten Welt.

In vielen Bereichen haben diese fal­schen Behauptungen, bewußt oder un­bewußt, geradezu die Form von Dog­men angenommen: in den Massenme­dien, an Mittelschulen und Universitä­ten und unter Intellektuellen ganz all­gemein.

Oft wird in diesen Kreisen argumen­tiert, der von uns entwickelte Lebensstil erniedrige das Individuum und sei un­vereinbar mit dem Bestand einer men­schenwürdigen Kultur, und deshalb sei die westliche Demokratie weder erhal­tenswert noch verteidigungswürdig.

Wir weisen die Behauptungen und die ihnen zugrunde liegenden Ideen zu­rück. Wir stellen ihnen unser histori­

sches Bewußtsein und unsere Überzeu­gung entgegen, daß die westliche Zivili­sation mit den von ihr entwickelten Formen freier Erkenntnis und freier Meinungsäußerung mehr politische und kulturelle Freiheit, einen höheren Grad von Gleichheit und verbreitetem Wohlstand und mehr Chancen der indi­viduellen Entfaltung bietet - unter Wahrung der Möglichkeit friedlichen

Wandels - als jedes andere politische und soziale System.

Wir glauben, daß die Geringschät­zung der Werte und Institutionen der westlichen Zivilisation wie schon in der Vergangenheit auch in Zukunft nicht zu etwas Besserem, sondern zu etwas unendlich viel Schlechterem Führen wird, nicht zum Frieden, sondern zum Krieg.

In den dreißiger Jahren entstand aus einer solchen Verachtung der Werte ein Totalitarismus der Rechten, heute könnte ein Totalitarismus der Linken die Folge sein.

Weil dieses Gedankengut die Kräfte der Abwehr gegen totalitäre Bedrohun­gen in entscheidender Weise unter­gräbt, sind wir der Überzeugung, daß der Kampf für die Freiheit nicht auf dem Schlachtfeld verloren oder gewon­nen wird, sondern in Büchern, Zeitun­gen, in den Massenmedien und im Schulzimmer sowie in allen öffentli­chen Institutionen, wo der Wille, frei zu bleiben, gefestigt oder geschwächt wird.

Als Mitglieder der internationalen Gemeinschaft, die eine besondere Ver­antwortung in diesem Bereich tragen, wollen wir den Kampf um Ideen und Werte aufnehmen.

Manche von uns haben schon seit ei­niger Zeit versucht, in unseren Ländern dieser Verantwortung gerecht zu wer­den, bisweilen mit einem bedrückenden Gefühl der Isolierung. Wir Fühlen uns heute aber ermutigt durch die vielen Zeichen einer wachsenden Erkenntnis, daß unsere gemeinsame, westliche Zivi­lisation in der Tat ein wertvolles Gut ist, daß sie tatsächlich in Gefahr steht und daß sie dringend verteidigt werden muß.

Wir glauben, daß die Zeit Für eine ge­meinsame, koordinierte Anstrengung gekommen ist.

Im vollen Bewußtsein, wie sehr der Begriff der „frei,en Welt“ in den letzten Jahren in Mißkredit gekommen ist, er­klären wir unsere Überzeugung, daß dieses Wort eine lebendige Realität be­zeichnet.

Wir bekunden unsere Entschlossen­heit, die freie Welt gegen die wachsende Bedrohung durch totalitäre Barbarei zu verteidigen und zu erhalten, und geben hiermit die Gründung einer Gruppe be­kannt, die wir „Komitee für die freie Welt“ nennen.

Soweit der Wortlaut der Erklärung. Im Direktorium des Komitees Figurie­ren laut „Neuer Zürcher Zeitung“ vom 12. Februar unter anderen auch noch die Historiker Golo Mann, Alain Be- sancon und Hugh Seton-Watson, der britische Dramatiker Tom Stoppard, der jetzt in Oxford lehrende polnische Philosoph Leszek Kolakowski, der amerikanische Schriftsteller und No­belpreisträger Saul Bellow u. v. a.

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