Dieser FURCHE-Text wurde automatisiert gescannt und aufbereitet. Der Inhalt ist von uns digital noch nicht redigiert. Verzeihen Sie etwaige Fehler - wir arbeiten daran.
Gesetz des Minimums
„Nicht nur Schnee und Eis künden dem Bauarbeiter schwere Zeiten, auch die Umweltschützer tragen das ihre dazu bei“, hieß es in Annoncen der Gewerkschaft Bau und Holz. „Wir werden die Grünen stellen, Mann für Mann“, ließ der Vorsitzende der gleichen Fachgruppe 1981 auf einer Pressekonferenz dräuend vernehmen.
Ein niederösterreichisches Betriebsrätekomitee „Sichere Arbeitsplätze“ brachte im September 1982 starke Sprüche unter die Leute: „Der Bau von Industrie- und Wohnzentren wird verhindert, um Frösche zu schonen. Ein Hafen wird nicht gebaut, um ein Revier für Sonntagsjäger zu erhalten. Wehrt euch gegen die Investitionsverhinderer, die grünen Träumer, die Arbeitsplatzvernichter.“ Die Umweltschützer hätten kein Recht, als gesellschaftlicher Faktor mitzuwirken, es gehe ihnen nicht um das Ge-
meinwohl, sondern um private Interessen, um Gruppenegoismen lokaler Wohnbevölkerungen und Gartenbesitzer, Paddler, Fischer, Alpinisten und Naturschwärmer, die dem „St. Floriansprinzip“ huldigten.
Es verwirre Gewerkschafter offenbar, so kontern die Naturschützer, daß in unserer Demokratie immer mehr Bürger dazu übergingen, ihre eigenen Nasen in ihre eigenen Angelegenheiten zu stecken. Außerdem sei es unlogisch, daß eine Arbeiterbewegung, welche ihrerseits das Streikrecht für mehr Lohn und soziale Zugeständnisse als geheiligtes Prinzip betrachtet (oder streiken Arbeiter etwa für die Allgemeinheit?), ausgerechnet von Bürgerinitiativen totale Selbstlosigkeit verlangt. Im übrigen sei Naturerhaltung und Wohnumweltverbesserung noch immer altruistischer als Streiks für mehr Geld und weniger Arbeit. Wir benehmen uns doch ohnehin schon als wären wir die letzte Generation.
Die Verabsolutierung des Rechtes auf einen bestimmten Arbeitsplatz, meinen die österreichischen Umweltverbände, sei überdies auch wirtschaftlich gefährlich: Verabsolutieren dürfe man nur das Recht auf Existenzsicherung, aber keinesfalls den Anspruch auf ökonomisch sinnlos gewordene Tätigkeiten, die mit Uberkapa- zitäten und atemberaubend hoher
Produktivität unverkäufliche Massengüter am Markt vorbeiproduzieren. Diese Ideologisierung des Arbeitsplatzes verhindere Umschulungsprozesse und Strukturverbesserung.
Dabei würde jene umweltkonforme, qualitätsorientierte, beschäftigungsintensive und energiesparende Langzeitökonomie, wie fortschrittliche Wirtschaftswissenschaftler sie sehen, wesentlich mehr und sinnvollere Arbeitsmöglichkeiten eröffnen. Je eher wir das Bremsmanöver einleiten statt uns zu ruinieren, desto mehr Zeit bleibt für einen geordneten Übergang. Ein österreichischer Gewerkschafter der alten Garde hat schon 1959 den Satz geprägt: „Der Unterschied zwischen Brutalität und Humanität liegt oft nur in dem Zeitraum, der uns für die Durchführung notwendi ger Maßnahmen zur Verfügung steht.“
Die ehrenwertesten Berufe mußten im Laufe der Zeit Strukturveränderungen weichen. Mit einer Mentalität, wie sie aus jüngsten Gewerkschaftsdogmen spricht, dürften wir heute kaum weniger Hufschmiede haben als im 19. Jahrhundert — ob wir sie brauchen oder nicht.
Ähnlich unsinnig wäre es, bis ans Ende unserer Tage Österreichs Landschaft mit immer neuen Asphaltpisten zu versiegeln, bloß weil die Straßenbaufirmen zunehmend Probleme haben, ihre Großmaschinen zu amortisieren. Und ebenso kann man die letzten Alpentäler nicht mit derselben Fortschrittseuphorie zubetonieren wie die ersten - hier herrscht das Gesetz des Minimums: Kraftwerkslandschaften hinterlassen wir unseren Kindern schon genug, intakte Natur- und Erholungsräume aber nur mehr wenige.
Der Autor ist Leiter des Wiener Instituts für Umweltwissenschaften und Naturschutz der Akademie der Wissenschaften.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!