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Gesucht wird das Maß für den Erfolg

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Der Konflikt zwischen Ökonomie und Ökologie ist nach einem latenten Stadium durch den dienstlich oder sonstwie organisierten Aufmarsch der angeblich 42.000 auf dem Wiener Heldenplatz auch in Österreich manifest geworden. Diese Spannungen zwischen den Vertretern ökonomischer Interessen und den Vertretern von Umweltinteressen weiterhin zu verdrängen, mag wohl gute österreichische Tradition sein. • Eine Grundregel des Konfliktmanagements empfiehlt jedoch, Inhalt und Ursache der Auseinandersetzungen festzuhalten. Es wäre zu oberflächlich, den Streitinhalt mit den kontroversen Kraftwerkprojekten gleichzusetzen. Ihnen kommt bestenfalls ein starker Symbolwert zu.

Meinungsumfragen signalisieren ein viel umfassenderes Unbehagen in immer weiteren Schichten der Bevölkerung über die Sinnhaftigkeit mancher wirtschaftlicher Vorgänge. Als Schlüssel zum Verständnis der Ursachen für dieses Unbehagen bietet sich die Hypothese an, daß auf fast allen Ebenen, wo wirtschaftliche Entscheidungen zu treffen und damit auch zu beurteilen sind, ein konsensfähiges Maß für die Erfolgsbeurteilung verlorengegangen ist.

Wir haben uns daran gewöhnt, als gesamtwirtschaftliches Erfolgsmaß das Bruttosozialprodukt (BSP) zu beobachten. Dadurch aber, daß im BSP „Umsätze" statt „Zustände" verbucht werden, wird es in einer gesamtwirtschaftlichen Perspektive lohnend, durch schlechte Umweltbedingungen Schäden zu verursachen, die dann BSP-steigernd wieder repariert werden. Nicht der Gesundheitszustand ist in der BSP-Rechnung der Erfolgsindikator, sondern die Umsätze, die für Gesundheitsausgaben getätigt werden. Nicht der Verzehr unserer bald erschöpften Erdölvorräte wird im BSP-Maß verbucht, sondern die „Wertschöpfung" durch den Förderungspro-'zeß und die Vernichtung im Verbrauch.

Resultat dieses brüchigen gesamtwirtschaftlichen Erfolgsmaßes sind wirtschaftspolitische Entscheidungen, die eine „Kaufund-Wirf'-Ökonomie, eine Ökonomie der „kalkulierten Zerstörung" und eine Ökonomie der „geborgten Zukunft" begünstigen.

Ähnlich fraglich geworden sind die individuellen Erfolgsmaße, nämlich der Gewinn als Beurteilungskriterium für den Erfolg unternehmerischer Tätigkeit und die individuelle Wohlstandserfahrung des einzelnen Konsumenten.

Ein äußerst gesichertes Ergebnis der ökonomischen Analyse besagt nämlich, daß immer dann, wenn bei einem Produktionsvorgang die Kosten, die eine Unternehmung verbucht, nicht identisch sind mit den gesamtwirtschaftlichen Kosten, der individuelle Gewinn dieser Unternehmung seine Aussage als Erfolgsindikator verliert.

Diese sogenannten „externen Effekte" der Produktion, die zusätzliche soziale Kosten entstehen lassen, sind charakteristisch für die meisten „modernen" Technologien. In der Agrarproduktion zählen dazu die produktionserhö-henden aber gesundheitsschädigenden Futtermittelbeigaben.

In der Grundstoff Produktion ist betroffen die „Entsorgung" in Flüsse, auf Deponien und in die Luft. Bei der kalorischen Stromerzeugung entfällt in der betrieblichen Kalkulation nicht nur die Verbuchung der verursachten Emissionsschäden, sondern vor allem die Berücksichtigung der „vergessenen" Kosten der ungenutzten Abwärme, die mehr als 60 Prozent der eingesetzten Primärenergie ausmacht.

Im Bereich der Haushalte betreffen diese nicht dem einzelnen Konsumenten angerechneten „externen Effekte" vor allem Emissionen von Stickoxyden und Schwermetallen durch den Indi-vidualverkehr und den Hausbrand.

Ein erster Schritt zur Entschärfung dieser inhärenten Widersprüche wäre eine Korrektur der

BSP-Messung durch Elimination jener aufblähenden Salden, denen kein positiver Wohlstandseffekt gegenübersteht. Möglicherweise würde mancher Chemiearbeiter unserer Gesellschaft einen positiveren Beitrag leisten, wenn er für seinen Lohn nicht produzieren würde, anstatt über Phosphatbeigaben zu Waschmitteln einen zweifelhaften Betrag zur BSP-Erhöhung zu leisten.

Weiters sollte dem Statistischen Zentralamt nicht verborgen bleiben, daß es doch sehr weit entwik-kelte Konzepte gibt, wie der BSP-Rechnung wieder mehr Wohlstandsrelevanz gegeben werden kann. In unser aller Interesse müßte es sein, etwa zu erfahren, welcher Anteil der Sozialausgaben durch „kränkende" Produktionsbedingungen verursacht wird.

Andere Konfliktpunkte würden durch Änderungen von Organisationsstrukturen und von Unternehmenszielen verschwinden. Vor allem die Elektrizitätswirtschaft könnte sich das Beispiel ausländischer Gesellschaften überlegen, die sich von Energieverkäufern zu Anbietern von Energiedienstleistungen im weitesten Sinn umstrukturieren.

Dahinter steckt die Einsicht, daß Investitionen in die verbesserte Energienutzung nicht nur billiger, sondern auch konsensfähiger sind als der Bau von Kraftwerken, egal welchen Typs.

Eine Warnung erscheint noch angebracht. Nicht jede wirtschaftliche Entscheidung kann auf das eindimensionale Maß einer monetären Bewertung reduziert werden. Als positivstes Nebenprodukt der aktuellen Auseinandersetzungen um Ökonomie und Ökologie entsteht vielleicht die Einsicht, daß nichtmonetäre Argumente, wie Verantwortung für das Leben, die Natur, den Frieden und die nachfolgenden Generationen, aber auch Ästhetik, bestimmend sein dürfen und bestimmend sein sollen für den Lebens- und damit den Wirtschaftsstil einer Gesellschaft.

Um Mißverständnissen bei den 42.000 am Heldenplatz Erschienenen vorzubeugen: Ihnen soll nicht mit Umweltargumenten das Einkommen entzogen werden. Wir alle sollen uns aber intensiver als bisher bemühen, dort Arbeit zu schaffen, wo wohlstandsvermehrende Produkte entstehen. Unter Umständen sogar mit weniger Arbeitsstunden und bei vollem Lohnausgleich.

Der Autor ist Ordinarius für Volkswirtschaftslehre an der Karl Franzens-Universi-tät in Graz.

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