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Statt Kernkraft: Die Sonne als Ausweg

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Mein Bekenntnis möchte ich wie folgt formulieren: Der Techniker meiner Generation hat den gewaltigen Aufschwung der Nachkriegsjahre sowie die weltweiten Grenzen des Wachstums von Menschenzahl und Gütermenge erfahren dürfen. Er hat ferner feststellen können, daß der materielle Reichtum nur einem kleinen Teil der Menschheit zugute gekommen ist und daß die Lücke zwischen verschwenderischem Uberfluß und lebensgefährdendem Elend stets größer geworden ist. Auf dem engeren Gebiet des Energieeinsatzes ist er vor die Entscheidung gestellt:

• Fortsetzung der bisherigen Entwicklung, in der Absicht, sowohl die erreichten Grenzen wie auch das soziale Mißverhältnis durch Energieeinsatz zu überwinden. Für die Fortsetzung der bisherigen Entwicklung sind wir auf den Einsatz der Atomtechnologie angewiesen.

• Änderung des bisherigen Kurses mit dem Ziel, die erreichten Grenzen zu respektieren und den Ursachen der sozialen Fehlentwicklung Rechnung zu tragen. Durch Sonnenenergienutzung kann dieses Ziel angesteuert werden.

Jeder denkende Bürger in den Industriestaaten muß sich für einen der beiden Wege entscheiden. Dazu sind Fachkenntnisse weder in Kerntechnologie noch in Solartechnik notwendig. Die Entscheidung darüber, wie der einzelne sein Leben gestalten möchte und welche Lebensgrundlagen er seinen Nachkommen hinterlassen will, wird zweifellos durch rationale Überlegungen beeinflußt werden. Man wird jedoch feststellen, daß für beide Wege rationale Argumente angeführt werden können und daß die Wahl der einen oder andern Variante nur aus der kritischen Bewertung von vielen Faktoren und einer intuitiv abwägenden Gesamtschau heraus getroffen werden kann.

Selbst wenn ein begrenzter Zusammenhang zwischen Bruttosozialprodukt (BSP) und Energiebedarf bestehen sollte, so wäre damit noch keine Notwendig-

keit der Erhöhung des Energieangebotes begründet. Wie die Energie, ist das BSP ein Mittel und nicht ein Ziel. Auch in unserer materialistischen Zeit hat der Mensch letztlich andere Ziele als das Wachstum des Sozialproduktes.

Vollkommen undurchsichtig ist aber der Zusammenhang zwischen Energiebedarf und Wohlfahrt oder Lebensqualität, der uns immer wieder suggeriert wird. Wohlfahrt der Gemeinschaft, Lebensqualität des Individuums: das sind unbestrittene Ziele, die jedoch in unseren Industriegesellschaften wohl eher mit kleinerem als größerem Energieeinsatz zu verwirklichen sind. Kein Mensch wird behaupten wollen, daß der Bürger der USA, der zwei- bis dreimal mehr Energie beansprucht als der Schweizer, auch eine zwei- bis dreimal höhere Lebensqualität genießt.

Das Stichwort Kontraproduktivität liefert einen Hinweis auf mögliche Ursachen. Beim Uberschreiten einer kritischen Schwelle beginnen die für einen bestimmten Zweck erschaffenen Werkzeuge oder Institutionen im umgekehrten Sinne zu wirken: Medizin macht krank, die Schule verdummt und der Verkehr lähmt die Bewegungsfreiheit.

Die Schwelle der Kontraproduktivität ist vielleicht wie bei der Ernährung durch biologische Grenzen bestimmt. Eine genügende und gesunde Ernährung erhöht die Lebensqualität, Völlerei vermindert sie. Eine

Energiemenge, welche behagliches Wohnen, gesicherte, befriedigende Arbeit und genügende Mobilität garantiert, erhöht die Lebensqualität. Ein Ubermaß an Energieeinsatz zerstört sie wieder.

Die Wohlfahrt einer Gemeinschaft und die Lebensqualität eines einzelnen erfordern Energie. Es ist zu vermuten, daß die Erhöhung des BSP mittels zusätzlichem Energieeinsatz über ein bestimmtes Maß hinaus eine Reduktion von Wohlfahrt und Lebensqualität bewirkt.

Warum sparen angesichts des solaren Energieüberflusses? Die Frage ist berechtigt. Rund 98 Prozent der heute vom Menschen genutzten Energie basiert auf erschöpflichen Energieträgern. Mit dieser Energie sind wir auf dem besten Wege zu nicht umkehrbaren Störungen der Biosphäre (CO.-Gehalt, Radioaktivität).

Der Mensch soll zuerst wieder lernen, vom Einkommen statt vom Kapital zu leben. Wenn das dazu erforderliche Umdenken bewältigt ist, wird es uns freistehen, vom unerschöpflichen Uberfluß in vermehrtem Maße zu zehren, falls zusätzliche echte Lebensqualität und Wohlfahrt sich damit schaffen lassen.

Was ist potentiell bis zum Jahre 2000 erreichbar auf der Basis der heute zur Verfügung stehenden technischen Möglichkeiten? Eine Studie der Schweizerischen Vereinigung für Sonnenenergie zeigt, daß ausgehend von der gegenwärtigen 15prozentigen Selbstversorgung ein Selbstversorgungsgrad von 50 Prozent bis zum Jahre 2000 erreicht werden kann. Der Gesamtenergiebedarf ist im Jahre 2000 gleich oder kleiner als heute vorausgesetzt. Eine zweite unabhängige Studie, welche von den Voraussetzungen ausgegangen ist, die der Bundesrat im Auftrag an die Kommission für eine Gesamtenergiekonzeption festgelegt hat und die ein Wirtschaftswachstum von 2 Prozent pro Jahr voraussetzt, gelangt zu einem 40prozentigen Selbstversorgungsgrad im Jahre 2000.

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