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Für begrenzte Zeit Notwirtschaft planen

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Im Westen war man sich stets der Überlegenheit des eigenen Wirtschaftssystems bewußt. Niemand aber hatte vor 1989 an einen Zusammenbruch des Ostblocks gedacht. Daher gibt es kaum Konzepte für die Umrüstung einer Plan- auf eine Marktwirtschaft. Im folgenden die Ergebnisse einer Studie über sinnvolle Umstrukturierungen im Osten.

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Im Westen war man sich stets der Überlegenheit des eigenen Wirtschaftssystems bewußt. Niemand aber hatte vor 1989 an einen Zusammenbruch des Ostblocks gedacht. Daher gibt es kaum Konzepte für die Umrüstung einer Plan- auf eine Marktwirtschaft. Im folgenden die Ergebnisse einer Studie über sinnvolle Umstrukturierungen im Osten.

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Vergleicht man markt- und planwirtschaftlich organisierte Länder, so sieht man, daß in jeder der beiden Ländergruppen höhere wirtschaftliche Leistung mit höherem Faktoreinsatz (beispielsweise Energie) einhergeht. Stellt man aber die beiden Ländergruppen gegenüber, so wird deutlich, daß die Marktwirtschaften zu der -durch den Einsatz von Energie gewonnenen - Wirtschaftsleistung zusätzlich eine durch weitaus effizientere Nutzung der Anstrengung gewonnene Leistung erwirtschaften.

Dieser Effizienzgewinn durch intensives Wachstum geht vor allem auf ein bestimmtes Verständnis vom Wirtschaften zurück: Es wird als Lösen von Problemen und nicht nur als Produzieren von Teilen mit Hilfe von Energie oder Maschinen angesehen.

Nun liegt der Engpaß der osteuropäischen Wirtschaften, der zu dieser niedrigeren Effizienz führt, nicht vorrangig unmittelbarim Produktionsbereich, sondern noch weitaus stärker im „internen Dienstleistungssektor", jenen wichtigen Aktivitäten, die der eigentlichen Produktion im Unternehmen vor- und nachgelagert sind. An diesen Punkten muß vor allem angesetzt werden.

Der Übergang von einer hochentwickelten planwirtschaftlichen zu einer höher entwickelten marktwirtschaftlichen Ordnung bedeutet aber das Durchschreiten eines Tales von geringerer Wirtschaftsleistung. Zu hoffen, daß die Marktwirtschaft allein dieses Tal hinlänglich rasch zu überbrücken vermag, ist illusorisch. Es ist notwendig, daß der Staat für einen Zeitraum von zwei bis drei Jahren eine Art Notwirtschaft errichtet.

Es gilt nämlich, die Planwirtschaft plan wirtschaftlich abzulösen und eine begrenzte Notwirtschaft planwirtschaftlich zu organisieren. Die notwendige langfristige marktwirtschaftliche Zielsetzung darf dadurch nicht verwässert werden.

Diese Notwirtschaft sollte so konzipiert sein, daß sie nicht nur das einigermaßen zufriedenstellende Überleben der Menschen in der Übergangszeit ermöglicht, sondern darüber hinaus unmittelbar erfahrbare Verbesserung ihrer Lebensqualität mit sich bringt.

Besonders geeignet dafür erscheint eine Art Naturalwirtschaft: Wenn es gelingt, die Lebensumwelt durch Arbeitsgruppen mit bester maschineller und materieller Ausrüstung (Rohmaterialien und Geräte) zu verbessern, sind mehrere Vorteile zugleich gewonnen:

Die Menschen erfahren eine unmittelbare Verbesserung ihrer Lebenssituation dadurch, daß private Wohngebäude, öffentliche Gebäude und Anlagen (Kindergärten, Schulen, Krankenhäuser...) instandgesetzt werden. Dadurch steigt wiederum die Motivation zum Durchhalten in der Übergangszeit. Außerdem wächst dadurch die Bereitschaft, die Dinge selbst gestalterisch in die Hand zu nehmen. Und gerade das ist ja eine Grundvoraussetzung für eine funktionierende Marktwirtschaft.

Der in den sozialistischen Gesellschaften so stark betonte Gemeinschaftsgeist könnte dabei (Stichwort „Arbeitsbrigaden") bewahrt, ja erweitert werden. Im Gegensatz zu den Arbeitsbrigaden der Vergangenheit würde der gemeinschaftliche Einsatz bei diesem Konzept aber der Verbesserung für jeden einzelnen und auch für die Gemeinschaft dienen.

Bei der konkreten Verwirklichung kann von dem im Westen wohlbekannten Konzept des „Heimwerkers" ausgegangen werden: Mit solider Unterstützung durch professionelle Geräte und Rohmaterialien wird der Heimwerker in die Lage versetzt, seine eigene Lebensumwelt zu gestalten. Analog dazu könnte man von einem Konzept der „Ortswerker" sprechen.

Etwas ähnliches hat sich in Österreich bei den Dorferneuerungsaktivitäten bewährt: Sie werden von der Bevölkerung getragen und von den oben genannten Vorleistungen unterstützt. „Die wichtigste Zielsetzung der Dorfemeuerung liegt in jenem Bereich, der schwer in Zahlen meßbar ist: Die Landbewohner sollen in ihrer positiven Einstellung zum Landleben bestärkt werden (oder diese Einstellung soll geweckt werden). Jeder soll seine Mitverantwortung für die Lebensumwelt erkennen, möglichst viele sollen dann tatsächlich selbst Hand anlegen und an der Gestaltung des Lebensraumes mitarbeiten", so Niederösterreichs Landeshauptmannstellvertreter Erwin Pröll.

Die Ziele der Dorfemeuerung sind im allgemeinen die Erhaltung der kulturellen Eigenart, Impulse für die Wirtschaft und Stärkung der Eigenständigkeit des Dorfes. Ähnliches könnte mit dem Konzept der Ortswerker im ehemaligen Ostblock verwirklicht werden.

Die Zerstörung der osteuropäischen Gesellschaften begann mit der Zerstörung des Bauerntums, also mit der Zerstörung eines verantwortlichen, initiativen, im Produktions- und im Lebensbereich gestalterischen Menschentyps. Dementsprechend ist es notwendig, gerade dort den ersten Schritt zur Sanierung zu setzen und dabei von der Tatsache auszugehen, daß bisher schon die verschwindend geringe Fläche von privatem Grundbesitz einen wesentlichen Beitrag zur Ernährung der Bevölkerung leistete.

Der Besitz von Boden ist - zum Unterschied vom hochgespielten Thema der Privatisierung - eine Grundvoraussetzung der Sanierung der Landwirtschaft. Diese trägt zur Sanierung der gesamten Gesellschaft in Richtung auf bäuerliche Produktions- und Lebensweisen bei.

In vielen Gesprächen mit Menschen aus dem Osten zeigt sich immer wieder die Betroffenheit bezüglich der Notwendigkeit einer tiefgreifenden Änderung der persönlichen Verhaltensweisen bei einem so dramatischen gesellschaftlichen Änderungsprozeß.

Die Bereitschaft dazu hängt davon ab, ob die persönliche Identität des Menschen gewahrt werden kann. Vom religiösen Standpunkt aus ist dies gegeben, wenn der Mensch weiß, daß sein Name in die Hand Gottes geschrieben ist und damit seine Identität auch bei den den dramatischesten Änderungen seiner Verhaltensweisen und Motivationen gewahrt bleibt.

Die gegenwärtige Situation in Europa ist schicksalhaft fürOst und West. Gelingt es, gemeinsam nicht nur die Effizienz der wirtschaftlichen Produktion, sondern auch - wenn man dies so sagen darf - die Effizienz ihrer Umsetzung in Lebensqualität zu erhöhen, dann könnte daraus ein neues gesellschaftliches Modell eine gemeinsame Identität Europas prägen. Wir stehen vor einer einmaligen geschichtlichen Herausforderung, zu deren Bewältigung wir brüderlich alle unsere Kräfte im Osten und im Westen Europas einsetzen müssen.

Der Autor ist wissenschaftlicher Leiter der Studiengruppe für Internationale Analysen (Studia) in Laxenburg bei Wien.

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