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Glaube ist nicht Ideologie
Eine „Glaubensprognose" in Form eines neuen Buches wurde am 22. April in Wien präsentiert. In drei Teilen - Analyse, Diagnose, Therapie • bietet Eugen Biser darin „Orientierung in postsäku-laristischer Zeit" an.
Eine „Glaubensprognose" in Form eines neuen Buches wurde am 22. April in Wien präsentiert. In drei Teilen - Analyse, Diagnose, Therapie • bietet Eugen Biser darin „Orientierung in postsäku-laristischer Zeit" an.
Über der kirchlichen Szene der Gegenwart liegt der Schatten der Hete-ronomie. Davon sind nicht nur die Verhältnisse insgesamt, sondern mit besonderer Intensität die tragenden Beziehungen betroffen: die Vermittlung der Lehre ebenso wie der Vollzug des Kults, das Verhältnis des Lehramts zur Theologie ebenso wie das der Leitungsgewalt zum Kirchenvolk. Zweifellos handelt es sich dabei um einen langen, von weither kommenden Schatten. Ergeht letztlich auf das „römische Prinzip" zurück, dessen Ende Reinhard Raffalt beklagte, weil mit ihm die stabilisierenden Faktoren, die „Harmonie" gewährleisteten, aus dem kirchlichen Lebensgefüge verschwunden seien.
Indessen wurde dieses hierarchisch-magistrale Prinzip nicht erst - so die These Raffalts - durch die Reformen des Zweiten Vatikanums entthront; vielmehr war dies, wie ihm Balthasar entgegenhielt, längst schon durch Augustin geschehen, dem Rom wie jede
andere Großmacht als dämonisch-weltlicherGegensatz zum Gottesstaat erscheint. Der Einwand hat freilich kaum mehr als historisches Recht; denn noch im vorigen Jahrhundert dekretierte eine Bulle Gregors XVI., die Kirche habe als eine „ungleiche Gesellschaft" zu gelten, „in der von Gott die einen zum Herrschen, die anderen zum Gehorchen bestimmt sind".
Und es spricht für die Unausrottbarkeit dieser Ideologie, daß, intoniert von Balthasar, zunehmend Stimmen laut werden, die sich die Lösung aller Probleme von einer klaren Rollenverteilung im Sinn einer befehlenden Klerikerkirche und einer gehorchenden Laienschaft versprechen. Von einer problemlösenden Wirkung dieses Konzepts kann indessen um so weniger die Rede sein, als ihm fundamentale Verwechslungen zugrunde liegen. Verwechselt wird, um nur die wichtigsten Alternativen anzusprechen: Ordnung mit Herrschaft,
Leitung mit Disziplinierung,
Unterweisung mit Indoktrination.
Diese Dreiheit könnte schließlich auf ein einziges Begriffspaar zurückgeführt werden, mit dem die ganze Fatalität dieser Verwechslungen zum Vorschein käme, auf: Glaube mit Ideologie. Tatsächlich scheint den Vertretern dieser „strengen Observanz" ein Kirchenmodell vorzuschweben, das eine geschlossene, nach außen abge-
schottete und im Innern durch strenge Über- und Unterordnung charakterisierte Gesellschaft zum Inhalt hat.
Das aber ist eindeutig das Modell eines totalitären Herrschaftssystems, dem als geistige Selbstdarstellung die Ideologie entspricht. Diese entspringt ihrerseits einer Unterwerfung der Wahrheit unter die Interessen der Macht, die den Raum der Denkbarkeiten durch doktrinale Vorentscheidungen festlegt und deshalb durch die Momente der Nichthinterfragbarkeit und des Interpretationsverbotes gekennzeichnet ist. Bedenklicher noch als diese Affinität des restaurativen Kirchenmodells, die Akte der Selbstunterscheidung der Kirche von jeder Form des politischen und geistigen Totalitarismus als das vordringliche Gebot der Stunde erscheinen lassen, ist der Widerspruch, in dem es sich zu den Intentionen des Stifters und zum Zeugnis des Evangeliums bewegt.
Denn die Lebensleistung Jesu ist erst dann zulänglich begriffen, wenn man in ihr den Protest gegen alle Formen der religiösen und sozialen Repression wahrnimmt. In dieser Frage stimmt das synoptische Jesusbild mit dem des Johannesevangeliums völlig überein.
Vorabdruck aus: GLAUBENSPROGNOSE. Von Eugen Biser. Verlag Styria, Graz-Wien-Köln 1991,456 Seiten, öS 420,-Der Autor ist emeritierter Professor für Christliche Weltanschauung (Universität München).
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