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Gustav E. Kafka

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In Graz ist der Rechtswissenschaftler Gustav E. Kafka verstorben. Die Geschichte dieses Jahrhunderts hat ihm tiefe Wunden zugefügt, ohne seinen Glauben, seine Großzügigkeit, ja auch nur seine Lebensfreude zerstören zu können. 1907 in München geboren, wurde Kafka nach juristischen und volkswirtschaftlichen Studien in Leipzig, München und Kiel durch den Aufstieg des Nationalsozialismus an einer Karriere im Justizdienst gehindert. Zuerst abgedrängt in die Privatwirtschaft, erfolgte schließlich 1940 seine Verhaftung. Gesundheitlich schwer geschädigt, mußte sich der Vater von vier Kindern in Graz nach dem Krieg eine neue Existenz aufbauen. 1955 habilitierte er sich an der dortigen Universität für Allgemeine Staatslehre und österreichisches Verfassungsrecht. Nach einer mehrjährigen Tätigkeit als Abteilungsleiter im Zentralkomitee der Deutschen Katholiken erfolgte 1961 die Berufung als Extraordinarius an die Hochschule für Welthandel, wo er das Institut für öffentliches Recht aufbaute. 1965 wurde er Vorstand des Instituts für Allgemeine Staatslehre und österreichisches Verfassungsrecht der Universität Graz. Neben seiner rechtswis-senschaftlicheh Lehr- und Forschungstätigkeit führte der Verstorbene zusammen mit der Theologischen und Philosophischen Fakultät politikwissenschaftliche Seminare für Hörer aller Fakultäten durch, die als richtungweisend gelten können.

Der Rechtswissenschaftler

Kafka trachtete stets, auch die Forschungsergebnisse der angrenzenden Disziplinen wie Politologie und Geschichtswissenschaft zu berücksichtigen. Sein Referat auf der Wiener Tagung der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer 1958 über die verfassungsrechtliche Stellung der politischen Parteien im modernen Staat ließ ihn zum Vater der österreichischen Parteienforschung werden. Ja man kann vielleicht pointiert sagen, daß da-damals die Geburtsstunde einer auf einer genauen Rechtskenntnis aufbauenden Politikwissenschaft in Österreich nach dem Krieg schlug. 1962 folgte eine resonanzreiche Analyse der konnikthaftjen Spätphase der großen Koalition in einem gründlichen Aufsatz in „Wort und Wahrheit“ (Der Parteien- und Verbändestaat am Beispiel Österreichs). Kafkas demokratietheoretische Position steht den neopluralistischen Ideen Ernst Fraenkels und Ulrich Scheuners nahe. Damit wird die Legimität des Handelns politischer Gruppen (z. B. Parteien und Verbände) zwischen dem Individuum und dem Staat betont.

In einer rechtstheoretischen und verfassungsrechtswissen-schaftlichen Monographie über den gesetzgebenden Richterspruch (1967) werden — wie schon in der Habilitationsschrift (Verfassungskrisen als verfassungsrechtliches Problem) — die Grenzen und Fragwürdigkeiten der Lehre Hans Kelsens deutlich gemacht.

Mit gelassener Wachsamkeit registrierte Kafka die Zeitprobleme in Staat, Kirche und Wissenschaft. 1973 erschien ein subtiler Aufsatz über „Ziviltheologie — heute?“, bis knapp vor seinem Tod arbeitete Kafka an einem Aufsatz über die Allgemeine Staatslehre, die als akademisches Fach durch den Entwurf eines neuen Juristengesetzes bedroht ist.

Das Werk Gustav E. Kafkas ist geprägt von der Überzeugung, daß für die erstrebte „menschlichere Gesellschaft“ letztlich der sich den menschlichen Grundwerten verpflichtet wissende Mensch, nicht die Investitionen entscheidend sind. So schreibt Kafka in einer seiner letzten Arbeiten: „Gegenüber den Ideologien, die immer von einer Veränderung der äußeren Umstände eine Verbesserung der Menschheit erwarten, betont die katholische Kirche mit großem Nachdruck, daß zwar die Lebensumstände, die Verfassung, die Organisation der Wirtschaft usw. von großer Bedeutung für diesen menschlichen Fortschritt sind, daß aber — um es wiederum stark vereinfachend zu sagen — gute Menschen gute Gesetze machen und nicht gute Gesetze gute Menschen. Die Reform der Institutionen ist nichts ohne eine Besserung der Sitten.“

Seine Vornehmheit gegenüber jedem, seine wissenschaftliche Unbeirrbarkeit in den intellektuellen Tagesströmunigen, sein Denken und Arbeiten immer mit dem Blick auf die letzten Wirklichkeiten machen seinen Heimgang zu einem unersetzlichen Verlust, zumal noch aus dem ihm eigenen gehäuften Reichtum von .Weisheit und Wissen viel Wegweisendes zu erwarten war für unsere Zeit, die so bedürftig eines jede Orientierung bietenden Gedankens ist.

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