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Hochmut kommt vor dem Fall

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Daß es keinen einheitlichen Welttrend in die eine oder die andere politische Richtung gibt, hat ein einziger Wahltag wieder einmal klargemacht: In Frankreich wehte der Wind nach links, in Berlin in die ganz andere Richtung.

Daß beide Fälle in vielen Bereichen miteinander unvergleichbar sind, sei außer Streit gestellt. In einem Punkte freilich ist so etwas wie ein gemeinsamer Hintergrund schon auszumachen: Beide Regierungen hatten sich vom Volk und seinen Problemen schon zu weit entfernt.

In Frankreich traf der Wählerzorn einen Regenten, der mit gelegentlichen und eher krampfhaft wirkenden Ausflügen in versuchte Volkstümlichkeit die Arroganz seines auch noch skandalumwitterten Herrschaftsstiles nicht länger übertünchen konnte.

In Westberlin ist ein persönlich untadeliger SPD-Spitzenkandidat das Opfer seines Vorgängers geworden, dessen Stadtregiment den Sinn dafür verloren hatte, daß verfallende leere Häuser Wohnungssuchende Jugend zur Weißglut reizen müssen. Auch hier waren Skandale an dem Sturz beteiligt, der dem Wählervotum vorangegangen war.

Hochmut kommt vor dem Fall, kann man schon in den Sprüchen Salomons nachlesen. Nicht immer freilich sind die Folgen leicht zu verkraften. In Westberlin hat mit Ausnahme der siegreichen CDU jede Partei im voraus erklärt, daß sie für den Fall, der nun eingetreten ist, keinen Koalitionspartner abgeben würde. Das ist im Effekt eine Kampfansage an die Demokratie an einem ihrer neuralgischesten Weltpunkte. Wenn das zur Gewohnheit würde, wäre ein Diktator nicht mehr fern.

Andererseits freilich muß man sich ernsthaft fragen, ob jene, diedas kühne Wort „Mit diesen Parteien können und wollen wir nicht“ im Munde führen, nicht täglich neue Argumente für ihre gefährliche Verweigerung frei Haus serviert bekommen. Das muß man sich auch hierzulande fragen.

Was führende Repräsentanten der Sozialistischen Partei Österreichs an parteipolitischem Kapital aus dem Mord an Stadtrat Nittel zu schlagen versuchten, mußte Freund und Feind entsetzen. Fast sucht man täglich schon nach dem Plakat: „Die ÖVP hat Nittel umgebracht.“ Mit Holzhämmern angedeutet wurde es von der ersten Stunde an.

Die Volkspartei wieder leidet an einer Art Jimmy-Carter-Phänomen: Wem auch wo immer was immer zustößt - eins der Trümmer fällt auf jeden Fall auch ihr auf den Kopf. Wieder einmal war es Herbert Kohlmaier, der die Sozialisten provozierte und selbst seine Freunde irritierte, wiewohl er sich auf tiefe persönliche Verletztheit mit Recht berufen darf.

Der Kommentator, der mit einiger Verzweiflung nach einem positiven Beispiel verantwortungsbewußten Verhaltens Ausschau hält, begegnet ihm in Alois Mock. Im politischen Alltag umsichtig, fleißig, wach, in der Krise überlegt, beherrscht und dennoch deutlich: Beifall für ihn ist wohl verdient.

Jenen aber, die voller Ungeduld von ihm den Skalp des Gegners täglich dreimal fordern, sei in Erinnerung gerufen: Was solide, haltbar, dauerhaft gedeihen soll, muß auch solide wachsen.

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