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Leben um jeden Preis?

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Leben um jeden Preis, das ist eine Schande. Jedenfalls für mich.

Lieber rot als tot, das bedeutet in der Tat Frieden um jeden Preis. Man könnte die Parole auch variieren. Etwa so: lieber braun als tot, lieber faschistisch als tot, lieber unmenschlich als tot. Lieber rot als tot, das bedeutet in der Praxis, jeglicher Art von Erpressung nachzugeben, die Politik der Stärke, die Politik des Stärkeren anzuerkennen. Das bedeutet, die Demutsgebärde zu machen, bevor die Auseinandersetzung überhaupt beginnt.

Ich bekenne mich zur Gewaltlo-sigkeit, aber ich bin kein Pazifist. Ein reiner Pazifismus ermuntert die Diktaturen in aller Welt, andere Länder zu überfallen, Menschen zu versklaven.

Ich bin, bereits kurz nach meiner Entlassung aus der Internierung aufgrund der Verhängung des Kriegsrechtes, im Jahre 1982 im Westen auf dieses Thema eingegangen. Der wahre und der richtige Friede kann nur in Wahrheit, Freiheit und Gerechtigkeit bestehen. Frieden zu schaffen, das ist ein Prozeß, der lange dauert und nicht nur ein zeitlich befristetes Krisenmanagement erfordert.

Wer Frieden um jeden Preis will, verrät den Frieden als eines der kostbarsten Güter der Menschheit. Die Auffassung, daß man anderen den Frieden mit Gewalt aufzwingen müsse, ist absurd. Winstön Churchill hat das, was ich meine, so gesagt: „Wer den Frieden der Ehre vorzieht, erntet erst die Unehre, dann den Krieg.“

Niemand kann den Frieden mehr ersehnen als die Schwachen und Kleinen, die Menschen, die immer besonders bedroht sind und bedroht sein werden. Wer einen „Frieden um jeden Preis“ propagiert, verleugnet die ethischen Werte, auf denen der Friede überhaupt aufbaut, auf denen er

wachsen kann. Er leugnet damit auch, daß es politische Mittel gibt, Frieden zu erhalten.

Eine solche Parole verhöhnt die Grundlagen der Freiheit und Demokratie. In der Konsequenz heißt das, sich jeder Brutalität unterzuordnen und damit letztlich auch, sich Mord und Mordbefehl zu unterwerfen.

Was die Prediger für einen Frieden um jeden Preis als Akt der Vernunft, des pragmatischen Denkens, ja sogar der Menschenliebe erachten, ist letztlich die latente Bereitschaft, Tyrannei, Gewalt, Brutalität zu akzeptieren und vielleicht sogar das Verbrechen „zur Vermeidung eines größeren Übels“ in Kauf zu nehmen. Dieses größere Übel soll der Krieg sein, der nach Meinung der Vertreter solcher Theorien ausbrechen und die Menschheit vernichten wird, wenn kategorisch an der Forderung nach der Verteidigung von Freiheit und Würde des Menschen festgehalten wird.

Indessen wecken gerade der Mangel an Freiheit und die Beschränkung der Rechte von Menschen, Menschengruppen, schwächeren Völkern und kleineren Staaten die Bereitschaft zum Widerstand, zu Haß, Vergeltung und Aggression.

Ein freier Mensch und ein freies Volk — dies bezeugen mehrere historische Beispiele — sind für solche Gefühle weniger empfänglich. Es geht in der politischen Praxis nur um die kleinen Schritte, selten um große und globale Lösungen. Die Politiker müssen in der jeweiligen Situation mit Augenmaß entscheiden.

Im Leben hat alles seinen Preis. Nicht nur im Leben der einzelnen Menschen, sondern auch der Staaten und Völker. Es kommt auf die Situation an.

Wenn jemand ein Kind aus einem brennenden Haus herausholt, dann ist das eine Heldentat. Das geschieht unter Einsatz des eigenen Lebens. Wenn jemand in ein brennendes Haus stürzt, um nur noch verkohlte Leichen herauszuholen, dann ist das verrückt und unsinnig.

Wir haben als Menschen von Gott Verstand und Vernunft bekommen, um zum richtigen Zeitpunkt zu entscheiden, welche Maßnahmen notwendig sind.

Der Autor, polnischer Historiker und Publizist, ist Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels 1986. Der Beitrag zitiert auszugweise sein neues Buch „Wer ein Leben rettet, rettet die ganze Welt“, Herder 1986.

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