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Modische Welle oder Fernbeben

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Die Chancen der Religion nach dem „Tode Gottes“ haben Zukunft! Zunächst soll die ersehnte Humanreligion den zerstückten und verkürzten Menschen in die Sinnhaftig-keit seines Daseins einführen und dann, als zweiten Schritt, mit dem Hineinwachsen in den Kosmos in der Immanenz des Pantheismus ihm die Zukunft absichern. Der „unverbrauchte“ Gott stellt sich als Konsumobjekt zur Verfügung, damit der Mensch wieder zu seiner Ganzheit zurückfinde, und so liegt das Spannungsfeld der metaphysischen Transzendenz noch in weiter Ferne. Die neuen Wege der angeschlagenen Religion können der Verdinglichung der Welt nicht Einhalt gebieten, und die erstrebte Freiheit bleibt ein Wunschziel. Ein Circulus vitiosus vollbringt hier Sprünge, wenn Karl Jaspers mit dem Gott als Chiffre die Situation retten soll, in der Wirklichkeit aber der neue Atheismus jenseits von Theismus und Atheismus angepeilt wird. Nach den Ausuferungen des christlichen Abendlandes sind auch dessen Chancen nur mehr gering, da fernöstliche Heilslehren sich glaubwürdiger für ein Entrinnen aus der Hoffnungslosigkeit der Industriegesellschaft anbieten. „Unsere berechtigten Schuldgefühle angesichts einer Welt, die nach 2000 Jahren Christentum so aussieht, wie sie aussieht, hinderten uns daran, offensiv und attraktiv zu zeigen, was wir als Christen einzubringen hätten“ (D. Solle)! Übrig bleibt vielleicht nur mehr die Sehnsucht nach der spirituellen Kraft des Christentums; seitdem aber das „ora et labora“ auseinandergebrochen ist, bleibt auch alle Askese nur innerweltlich. Die politische Heilslehre des Marxismus mit ihrer Welt- und Gesellschaftsveränderung eröffnet erst recht eine Landschaft der Geozentrik und Anthropozentrik, deren Antiquiertheit und Banalität nur einen Entlastungsversuch aus dem vorigen Jahrhundert darstellt. Aber nachdem der Mensch nach Berdjajew „unheilbar religiös“ ist, wären die Ansätze der neuen Religiosität schon in der Schule zu pflegen: es wäre eine Religionsstunde einzuführen, die nicht ein isoliertes Fach sein sollte, sondern die Besonderheit und Viel-dimensionalität der menschlichen Existenz zum Gegenstand haben und zugleich den blockierenden Wahn des Wissenschafts- und Fortschrittsglaubens eines materialistischen Lebenskonzeptes angreifen müßte! Ob die neuen Wege der religiösen Haltung Resterscheinungen der Vergangenheit oder Ausbruch aus heilloser Umklammerung sind, kann nicht eindeutig ausgemacht werden; sind sie nur schnell sich ablösende modische Wellen oder das Fernbeben kommender Elementarereignisse? Das Konglomerat aus Synkretismus, Pantheismus und Mystizismus läßt auch in den religiösen Bewegungen der Jugendlichen zur Vorsicht mahnen. Und wann wird es zum entscheidenden Vorstoß vom „Ich“ zum „Du“ des persönlichen Gottes kommen? Die ersehnte Auferstehung des „toten“ Gottes in den Menschen würde dann zu fruchtbarer Realität!

DER UNVERBRAUCHTE GOTT, neue Wege der Religiosität. Mit Beiträgen von Gerhard Szczesny, Dorothee S alle, Reimar Lenz, Frangois-Albert V iallet u. a. Herausgeber Ingrid Riedel, Scherz-Verlag, Bern-München-Wien, Schilling 255.—.

Sekino .Tunichirö, einer der Meister des japanischen Farbholzschnitts, schuf 1969 dieses Bildnis seines Kollegen Munakata Shikö. Es handelt sich um eines der rund 4000 Blätter in der graphischen Sammlung des Museums für Ostasiatische Kunst in Westberlin, der zwei von den „Bilderheften der Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz“, die im Gebrüder-Mann-Verlag in Berlin erscheinen, gewidmet wurden. (Ostasiatische Holzschnitte I. von Steffi Schmidt über den klassischen und II. von Steffi Schmidt und Susanne Wen-pu Yao über den modernen chinesischen und japanischen Holzschnitt, 88 bzw. 60 Seiten, 49 Abbildungen und 6 Beilagen bzw. 41 Abbildungen, 127.— bzw. 188,65 Schilling.) „Bilderhefte“ ist hier wohl eine Untertreibung. Es handelt sich um Werke mit einem reichhaltigen und sehr akzeptabel gedruckten Abbildungsapparat und nicht ausgewalzten, sondern knapp formulierten, dabei aber ausführlich informierenden Textteilen. Vor allem der zweite Band enthält eine Fülle von Material, das hierzulande noch kaum jemand kennt, denn das Berliner Museum für Ostasiatische Kunst hat offensichtlich den Ehrgeiz, auf dem laufenden zu bleiben. Das zweite Heft enthält daher sogar eine der Baumlandschaften von Hoshi Joichi, datiert 1973, eines jener Blätter, die erkennen lassen, daß der japa-j nische Farbholzschnitt die seit Jahrzehnten gesuchten neuen Wege heute tatsächlich zu finden im Begriffe ist. Hoshi nutzt die Struktur einer blätterlosen, an drei Seiten vom Bildrand angeschnittenen Baumkrone zur Erzielung eines außerordentlich artifiziellen graphischen Effektes ohne Opferung der abgebildeten „Wirklichkeit“. H. B.

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