Öffentlich-rechtlicher Funk und Panikgesellschaft

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Dass der blauen Ex-Regierungspartei der Ibiza-Skandal noch in den Knochen sitzt, mag man ja verstehen. Und dass sich Norbert Hofer & Co deshalb seit geraumer Zeit wieder einmal ihr Mütchen am öffentlich-rechtlichen Funk kühlen müssen, gehört dazu: Mittels Kampagne und Online-Petition wollen die Blauen die Abschaffung der GIS-Gebühren erreichen.

Dabei haben gerade die Ereignisse nach Ibiza gezeigt, wie gut, wichtig – und in bestimmtem Zusammenhang unersetzlich der öffentlich-rechtliche ORF ist: Den gesellschaftlichen Zusammenhalt im Land zu fördern und vertrauenswürdige Information zu liefern, darin hat sich die größte Medienanstalt des Landes eben in den denkwürdigen Tagen des Mai/Juni 2019 bewährt.

Nicht einmal ein Jahr später geschieht Nämliches in der Corona-Krise: Der ORF läuft zur Hochform auf, wenn man das in der aktuellen ernsten Lage so flapsig sagen darf. Und er reagiert weitgehend richtig und kreativ: Dass ab Mittwoch, 18. März, der Vormittag auf ORF 1 vor allem die daheimsitzenden Schülerinnen und Schüler im Land im Blick hat – auch mit neuen Nachrichtenformaten, ist eine Entwicklung, von der man vor Kurzem nur träumen konnte. Es lässt sich natürlich noch nicht absehen, ob das Programmangebot im unter Jugendlichen oft schon als zu verstaubt abgeschriebenen Sender auch angenommen wird. Aber wenn der ORF diese Chance nicht zu nutzen imstande ist, dann wäre jede Hoffnung für die Anstalt wohl vergebens.

Auch die Idee des neuen Religionsprogramms „Feier.Stunde“, mit dem auf ORF III, der TVThek und dem Internetportal religion.orf.at Religiöses für Angehörige verschiedener Glaubensrichtungen, darunter nicht zuletzt virtuelle Gottesdienste, anbieten will, deckt mediale Notwendigkeiten und religiöse Bedürfnisse ab. Dass daneben in seiner aktuellen Berichterstattung in der Krise der ORF eine Klasse für sich bleibt, muss angesichts
des allgemeinen ORF-Bashings einmal mehr betont werden.

Norbert Hofer und die Seinen erdreisteten sich gar, ihren Anti-ORF-Kampf auch in der Corona-Krise zu perpetuieren. Dass am Dienstag dieser Woche dann die Tiroler Tageszeitung berichtete, die FPÖ würde ihre GIS-Abschaffungskampagne „auf Eis“ legen, klingt dennoch nicht nach einer Umkehr der Freiheitlichen. Man darf sicher sein, dass die demokratiepolitische Dummheit, den ORF finanziell an die Kandare der jeweils Regierenden zu nehmen, nach der Krise wieder fröhliche Urständ feiern wird.

Zeitkritische Diagnostik des Medienwissenschaftlers

Rund um die medialen Begleiterscheinungen der Corona-Krise ist in den letzten Tagen gar viel Erhellendes publiziert worden. Ein zeitdiagnostisches Highlight stammt einmal mehr aus der Feder des Tübinger Medienwisschaftlers Bernhard Pörksen, der in einem Essay für die Zeit über „Panik, live auf Sendung“ nachdenkt: „Wir sind, auf eine Formel gebracht, in eine Atmosphäre der totalen Gleichzeitigkeit eingetreten, leiden an einer Überdosis Weltgeschehen.“ Das Ineinanderfließen „des privaten und des öffentlichen Bewusstseins“, die, so Pörksen, zur alltäglichen Erfahrung geworden sei, bedeute Stress. Der Medienwissenschaftler spicht sich dennoch gegen Abschottung aus, auch wenn die Sehnsucht danach wachse.

Pörksen plädiert dafür, weder eine Hysterie noch Gleichgültigkeit die Oberhand gewinnen zu lassen, wobei es auch für ihn klar ist, das Journalisten beständig zwischen zwei Werten abwägen müssen: dem Bemühen um eine „sensible, strikt relevanzbezogene Informationsauswahl“ einerseits und einer „unbedingten Aktualitätsorientierung“ andererseits. Klar, dass es nicht einfach ist, hier die rechte Balance zu halten.

Gleichzeitig beobachtet Pörksen aber in all den Untergangs­szenarien und Horrormeldungen, in die sich auch jede Menge Fake News einschleusen, eine „geradezu atemberaubende Beweglichkeit und Lernfähigkeit von Individuen und ganzen Gesellschaften“, die ihr Verhalten ändern und solidarisch kooperieren würden – etwa in der Hilfe für ältere Menschen. Pörksen will hier nicht entgegen den aktuellen Nationalismen etc. „gleich die Herausbildung einer empathischen Zivilisation“ feiern Aber es werde hier doch auch eine „große schöne Möglichkeit“ offenbar.

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