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Nach Vietnam — Atomkraftwerke ?

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Handelsminister Staribacher verkündet, daß der Baubeginn beim zweiten Atomkraftwerk hinausgeschoben werden solle. Dem Ausbau konventioneller Kraftwerke — auf Kohlen- und Wasserkraftbasis — solle Priorität eingeräumt werden.

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Handelsminister Staribacher verkündet, daß der Baubeginn beim zweiten Atomkraftwerk hinausgeschoben werden solle. Dem Ausbau konventioneller Kraftwerke — auf Kohlen- und Wasserkraftbasis — solle Priorität eingeräumt werden.

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Daß es sich um Wahltaktik handle, um das Bestreben, die Atomprotestierer der Regierungspartei vor den Nationalratswahlen vom Hals zu halten, negiert Staribacher: Das Atomkraftwerk in St. Pantaleon werde nämlich auf alle Fälle gebaut.

Wie verträgt sich das mit Bundeskanzler Kreiskys Versprechen, eine Volksabstimmung über den Bau des zweiten und weiterer Atomkraftwerke abzuhalten, deren Ausgang doch eher ungewiß ist? Soll das nur ein Wahlversprechen sein, welches nach den Wahlen „vergessen“ wird oder deutet sich hier eine prinzipielle Meinungsverschiedenheit in der Regierung an?

Gegenwärtig gehen die Fronten quer durch die Parteien. Die Frage der Atomkraftwerke ist in der Opposition ebenso kontrovers wie in der Regierungspartei — eine Situation, welche man im übrigen im Ausland nicht anders vorfindet. Und wer sich dann gar an die Wissenschaft um Entscheidungshilfe wendet, der findet „auf höherem Niveau“ die gleichen Querelen.

In der Zwischenzeit haben die politischen „Kanalarbeiter“ Hochkonjunktur: Das ganze Problem wird fleißig ideologisiert und emotionalisiert. Linke Protestierer, nach Vietnam beschäftigungslos, hoffen mit dem Kampf gegen die Atomkraftwerke eine neue politische Goldmine zu finden.

Dies wieder ruft Reaktionen hervor: Der ganze Atomprotest wird suspekt, er erscheint als neues Instrument zur Unterminierung von Wirtschaft und bürgerlicher Moral. Die Sowjetunion baut ein Atomkraftwerk nach dem anderen; soll dem Westen der Appetit daran verdorben und seine Wirtschaft durch Energiemangel paralysiert werden?

Denn eines steht fest: Wenn die Wirtschaft weiter wachsen, Massenwohlstand und Reallohn weiter steigen sollen, dann brauchen wir mehr Energie, denn Energie ist das Lebensblut der Wirtschaft. Konventionelle Energie steht aber nur mehr beschränkt zar Verfügung. Um den Energiebedarf der Zukunft zu dek-ken, müssen andere Wege beschrit-

ten werden. Aber nur einige Reaktortypen sind bisher technischwirtschaftlich ausgereift. Neuartige Formen der Energiegewinnung — beispielsweise aus Sonnen- oder aus Erdwärme — werden in größeren Dimensionen erst in einigen Dekaden zur Verfügung stehen. Wenn wir das Wirtschaftswachstum beibehalten wollen, dann müssen wir Atomkraftwerke bauen, und zwar ziemlich rasch, sonst geraten wir in den achtziger Jahren in eine katastrophale Energielücke.

Das offenkundige Faktum, daß die Atomproteste vielfach aus einer suspekten Richtung kommen und ihre Unehrlichkeit evident ist, darf uns freilich nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Atomenergie nach wie vor problematisch ist: Die Strahlengefährdung und die Lagerung von Atommüll sind noch keineswegs definitiv gelöste Fragen und die Rohmaterialbasis ist auch hier bei weitem nicht gesichert. Im Gegenteil: Der Uran verbrauch bei den derzeit üblichen Reaktortypen ist so groß, daß die Welturanreserven noch vor den —- als besonders knapp erachteten — Erdölreserven erschöpft sein werden. Außerdem muß das Natururan erst zu Reaktorbrennstoffen aufbereitet werden und die Bereitschaft der USA als Hauptlieferland für Reaktorbrennstoffe, Westeuropa ausreichend zu versorgen, ist uns keineswegs garantiert.

Ein Ausweg aus der Energienot wären eventuell die „Schnellen Brüter“ und die thermonuklearen Kraftwerke, welche einen weit höheren Ausnutzungsgrad des Natururans gestatten würden. Aber sie sind in der Herstellung bisher noch so teuer, daß sie vorläufig als unökonomisch gelten. Die Fusionskraftwerke hingegen, welche den reichlich vorhandenen Wasserstoff zur Basis hätten, bestehen erst auf dem Papier. Ihre Realisierung — zumindest in größerem Maßstab — ist noch immer nicht gelungen und es bestehen bei vielen Wissenschaftern fundierte Zweifel daran, ob dies in absehbarer Zeit gelingen kann.

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