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Neue Choreographie

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Die Kampfe im Libanon drohte] den Nahen Osten in Brand zu setzer die Detente zu sprengen, Moska-und Washington standen machtlo daneben, da brachte Damaskus dei Waffenstillstand zustande. Da Machtmittel war die indirekte In tervention. Palästinensische Einhei ten rollten aus Syrien in den Liba non ein und vereinten sich mit dei Palästinensern und mit den mili tanten Mohammedanern. Nach die sem Waffenstillstand liegen de Frieden und die Einheit des Li banon in den Händen der arabischei Kräfte; die Christen im Libanon sin< eine von allen Freunden verlasseni Minorität geworden, umgeben voi der Masse des Islam, ähnlich dei Israelis, nur hilfloser.

Das Stillschweigen der gesamter Christenheit zum Debakel ihrei Glaubensbrüder im Libanon ist fü: die Israelis nicht nur aus politischer Gründen unverständlich. Mag mar in Israel parteipolitisch in noch st konträren Lagern stehen und möger die zahlreichen jüdischen Grupper in aller Welt weltanschaulich nocl so sehr differieren — eine gewiss< Solidarität äst immer noch vorhanden, wenn hier oder dort eine Niederlage sich abzeichnet oder gar wenn Verfolgung droht. Die Christenheit, also alle christlichen Konfessionen insgesamt, scheinen ein solche minimale Solidarität nicht zi kennen. Der Waffenstillstand, genauer: die Niederlage der Christer im Libanon, findet in der christlicher Publizistik nahezu keinen Widerhall

Wenige Wochen nach diesem Waffenstillstand findet in Tripolis di< christlich-islamische Begegnung statt. Themen: Abbau der religiöser Vorurteile, soziale Gerechtigkeit all Folge des Glaubens an Gott. Die Regierungszeitung gab eine speziell Ausgabe heraus, mit dem Porträ' des Papstes und einer Botschaft vor Präsident Gadhafi. Das Sekretarial für nichtchristliche Religionen irr Vatikan und die Arabisch-Sozialistische Union haben die Begegnung organisiert.

Nun wenden die arabischen Kräfte sich der christlichen VJe\t zu. Eine regionale Kompetenzteilung zwischen Islam und christlichen Kirchen könnte die Rückgewinnung der verlorenen Territorien der „Rechtgläubigen“ erleichtern, vor allem Palästinas, des heutigen Israel. Soll aber eine Flurbereinigung überall vollzogen werden, so braucht mar Verbündete in allen Lagern. Das Brückenbaumaterial in Richtung der Kirche ist die Gemeinsamkeit der Religionen, der Wertung von Moral und Glaube. Gemeinsame islamitisch-christliche Konferenzen sollen gegen Glaubensabfall und Moral-losigkeit wirken. Der gemeinsame Kampf gegen den „Imperialismus“, die gemeinsame Abwehr des zersetzenden Einflusses der europäischen Demokratien, ist dann das Baumaterial für die Brücken zu den kommunistischen Mächten. Gibt es heute auch ein Bauelement, das sich in beide Brücken einfügen läßt? Nämlich Israel?

Im spätosmanischen Reich war der Islam defensiv, eine ruhende Masse, in sich geschlossen. Nach dem Zerfall des Reiches, im antikolonialen Kampf, wurde der Islam eine politisch-religiöse Kraft, expansiv, doch hoffnungslos eingekeilt. Er brauchte Verbündete. Er fand sie zuerst in Moskau. 50 Jahre eines stürmischen Pas de Deux von Islam und Kommunismus — ein Takt engumschlungen, im nächsten Takt einander an der Gurgel — haben den Islam gelehrt, wie man aus Verbündeten von heute die Opfer von morgen macht. Nicht nur der Kommunismus, auch jec andere Kraft, zum Schluß der Gaul-lismus, mußten es erleben; wer immer hofft, daß er die Kräfte des Islam sich dienstbar machen könnte, findet am Schluß sich in der Rolle des Dienenden. Jetzt, da der ölreich-tum zu einer Kraft des Islam geworden ist, sind die Einsätze größer, drohen die Verluste katastrophaler zu werden.

Beispiel Kommunismus: Die unglückliche Liebe des Kommunismus zum Islam hat Hunderttausende Kommunisten in ganz Asien das Leben gekostet. Doch der Kommunismus blieb konsequent — von 1920 bis heute. Auf dem Komintern-Kongreß der „Arbeiter des Ostens“, 1920 in Baku, sollte der Islam zur Zugmaschine für den Kommunismus in Asien werden. Die härtesten Führer des expansiven Islam waren eingeladen worden und kamen. Enver Pascha, der General der zusammengebrochenen Pforte, und der Rivale des Mustafa Kemal, wurde ein gefeierter Heerführer der „asiatischen Befreiung“.

Doch in Turkestan kehrte er die Waffen gegen seinen Auftraggeber. Er wurde von den Sowjettruppen besiegt. Hunderttausende Mohammedaner, die gegen und für ihn gekämpft hatten, fielen. In Baku aber deklamierte Kominternführer Sinowjew: „Erst wenn die 850 Millionen Mohammedaner in Asien mit den Kommunisten kämpfen, wird die Revolution siegenl“ Das ist bis heute Leitsatz geblieben. 1924 forderte dann der indonesische Kommunistenführer Tan Malaka das Zusammenfließen des revolutionären Kampfes mit dem Heiligen Krieg des Islam, gegen den gemeinsamen Feind, den westlichen Kolonialismus. Immer wiederholte sich die ursprüngliche Choreographie: Der werbende Kommunismus, der bündnisbereite Islam und zum Schluß das Massaker unter den Kommunisten, das aber Moskau nicht davon abhielt, den Islam wieder zu umwerben, und den Islam nicht abhielt, Moskau als Verbündeten zu akzeptieren. Heute bietet die Rivalität zweier kommunistischer Großmächte neue Möglichkeiten. Das Beispiel Bangladesch, wo die chinesischen Kommunisten den mohammedanischen Zeloten Schützenhilfe leisteten, weil es Indien, vor allem aber Moskau und seinen Agenten, an den Kragen ging.

Islam und Kommunismus haben in Asien einander als expandierende Kräfte ergänzt. Der Islam, die dynamischste Kraft, hatte immer das letzte Wort — und er will es in jedem Bündnis behalten.

Gesteht der Islam Europa als den ohnehin verlorenen Kontinent der Kirche und dem Kommunismus zu, so geht es ihm um die Ausbreitung in Afrika, um die Restauration der Glaubensgebiete in Asien. Immer tiefer dringen mohammedanische Missionen, unterstützt von islamischen Staaten, in Afrika ein. Immer massiver wird die Unterstützung der arabischen Staaten für die islamische Diaspora in Asien. Bangladesch ist für den Islam wiedergewonnen. Um Mindanao und Zulu wird gekämpft. Indien ist für den Islam noch lange nicht ein abgeschlossenes Kapitel. Sicher ist der Islam durch Klassenkämpfe und Rivalitäten unruhig und innerlich zerrissen. Doch Solidarität nach außen ist stärker, vorderhand fast fraglos.

Fasziniert von der durch keinen Zweifel gestörten, durch keine Aufklärung erschütterten Macht im Osten verlieren die vom Zweifel an sich selbst durchwühlten Kräfte, auch die Kirchen, des Westens Urteil ;und Widerstandskraft.

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