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Ohne Pauken & Trompeten
Grundkonsens und innerer Friede, Freiheit und Unabhängigkeit, Wohlstand und Sicherheit heben die II. Republik vorteilhaft von der I. Republik ab. Für 41 Prozent der Österreicher ist der Staatsvertrag das „Großereignis" der österreichischen Geschichte in diesem Jahrhundert.
Diese im ganzen ungebrochene Zustimmung meiner Generation und der unserer Väter und Mütter kontrastiert zunehmend der kritischen Haltung der Jugend und schon seit längerem vieler Künstler.
Und nicht immer ist es nur so kühl-ironische Distanz, die den
Ton bestimmt, wie bei Barbara Frischmuth, wenn sie bemerkt: „Die Älpler stellen ihre Gegend, die Wiener sich und ihre Denkmäler zur Schau. Wer bei jedem Heurigen ein Original vorgeführt bekommt, mag sich wahrhaft nach den wenigen echten Querulanten sehnen, die einem anderswo begegnet sind."
Wer mit dem Flugzeug in 10.000 Meter Höhe über Österreich fliegt, mag dieses Land als eine in Wolkenwatte gepackte niedliche und harmlose „Insel der Seligen" erblicken. Wer hier jedoch landet und lebt, spürt von Tag zu Tag mehr die schwierige Spannweite:
Zwischen Heimito von Dode-rers „Strudelhofstiege" und Helmut Qualtingers „Herrn Karl", zwischen der Traurigkeit des Meidlinger Bahnhofs und der Grandezza des Salzburger Dombezirks, zwischen Kaffeehaus und Reihenhaus, zwischen Tierliebe und Kinderarmut, zwischen Wiederaufbau und Umweltgefährdung, zwischen Bürokratismus und Innovation.
Spannung, Konflikthaftigkeit, bereichernd / und belastend: all der moderne Pluralismus hat diesen so lange in älteren Traditionen ruhenden Staat erreicht.
Die „Gründungswahrheit" der II. Republik ist die 1945 gefundene österreichische Identität, ist die definitive Absage an die Bürgerkriegsbereitschaft der I. Republik. Die II. Republik wurde gegen die alltägliche Gewaltanwendung der Bürger untereinander in diesem Land errichtet.
Wir leben — eben gerade auch politisch — in einem „gemäßigten Klima" von Nüchternheit, Augenmaß, Aushandeln und Kompromiß.
Da gibt es keine „üppige Vegetation", und das wurde durch Jahrzehnte nur als Vorteil betrachtet, später dann, namentlich im kulturellen Bereich, auch als Mangel empfunden, weil emotionell karg und ohne satte Farben. Denken wir an unsere Unfähigkeit, unser Gemeinwesen zu „feiern".
Der kleinstaatliche Republikanismus hat keine Pauken und Trompeten.
Es gibt jedoch kein selbstgenügsames Ausruhen auf der „Gründungswahrheit". Die kritisch drängende Frage nach der Zukunft Österreichs muß immer wieder gestellt werden. Es ist dann ohnehin noch ein weiter Weg zu Antworten und Lösungen.
Sind wir dem Streß der wachsenden ökonomischen und ökologischen Probleme gewachsen?
Finden wir uns als sinn- und glücksuchende Wesen in Zeit und Welt zurecht?
Ist die Kirche dieses Landes noch „Salz der Erde", oder droht sie sich zur Freundlichkeit eines Serviceklubs zu säkularisieren?
Wie gehen wir mit unseren Minderheiten, zu denen heute schon die Kinder zählen, um?
Geht ein Riß durch die politische und die künstlerisch-intellektuelle Kultur?
Ist die Glaubwürdigkeit des politischen Personals schon in Effizienzschwäche und Korruption verspielt? Verschanzen wir — gerade auch wir Kritiker — uns nicht in scheinheiliger Selbstgefälligkeit?
Bricht eine neue Kluft zwischen Wien und den Bundesländern auf?
Wahrlich viele Fragezeichen! Noch ist alles nicht in offener Krise zugespitzt. Apokalyptische Schauer würden nur in eine Dramatisierungsspirale treiben und zur Selbstlähmung führen.
Wir alle sind froh über unseren österreichischen Paß. Aber wir alle werden wieder einmal sehr viel Erfindungsgabe, Entdeckerfreude, Phantasie und Beharrlichkeit brauchen, um - unpathetisch gesagt - „weiterzukommen".
In den endachtziger Jahren werden neben internationaler Politik, Umwelt und Wirtschaft gerade die „hinter" oder „vor" den Normen und Institutionen liegenden Fragen der politischen Kultur, der politischen Tugenden, der politischen Sprache dominieren.
Ein kleines Land braucht auch seine Weite, seine Perspektiven.
Das „Kleid von 1945" soll nicht weggeworfen oder zerrissen werden, es muß aber geändert, reformiert, „weitergemacht" werden. Dazu bedarf es vielerlei Anstrengung, verantwortungsvoller Mühe und ernster Arbeit.
Am Beginn des österreichischen Neoabsolutismus mahnte der große böhmische Historiker und Staatsmann Franz Palacky in einem Zeitungsaufsatz am 23. Dezember 1849: „In der Leitung des Staates sind nur der Despotismus und die Barbarei bequem; erleuchtete und freisinnige Regierungen pflegten von jeher den unzähligen staatlichen und bürgerlichen Interessen fleißig Rechnung zu tragen."
Der Autor ist Universitätsprofessor und Vorstand des Instituts für öffentliches Recht, , Politikwissenschaft und Verwaltungslehre der Universität Graz.
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